Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
einsetzen. »Ich will Respekt – das ist alles, was ich verlange. Achtung vor mir als Mensch, nicht weil ich schwul bin.« Aber dieses kurze Wort – Respekt – enthält eine lange Wunschliste: gesetzlicher Schutz der Privatsphäre, Schutz vor willkürlicher Festnahme, vor Inhaftierung und Folter, das Recht auf ein faires Verfahren, Meinungsfreiheit, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sowie Schutz vor Diskriminierung. Sollten Munir und seine Mitstreiter einen Beitrag zu diesen Veränderungen – für alle – leisten können, dann sprechen wir wirklich von einer Revolution.
****** » LGBT « – Abkürzung für »Lesbian, Gay, Bisexual und Trans(gender bzw. -sexual)«, Bewegung zum Schutz der Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender/Transsexuellen (Anm. d.Ü.).
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DIE REVOLUTION KOMMT
In der Langsamkeit liegt Sicherheit, in der Eile Reue.
Meine Großmutter über den Vorteil der Evolution
gegenüber einer Revolution
»Zitadelle! Zitadelle!«, rief mein Taxifahrer auf Arabisch, während sich unsere Blicke im Rückspiegel trafen. »Zieh dich aus!«
Ich war unterwegs zu einem der berühmtesten Wahrzeichen Kairos: der Zitadelle, einer mächtigen Festung, die vor rund tausend Jahren von Salah al-Din (»Saladin«), dem Bezwinger der Kreuzritter, erbaut wurde. Wir fuhren in einem klapprigen Panda, einem jener zahllosen betagten Schwarzweißtaxis in Kairo, die heute, da schnittige Limousinen mit allem modernen Komfort (einschließlich funktionierenden Taxametern und Scheiben, die hinuntergleiten statt runterzufallen) durch die Straßen streifen, zu einer vom Aussterben bedrohten Art geworden sind. Angesichts meiner Erfahrungen mit sexueller Belästigung in der Stadt hätte mich die Aufforderung des Fahrers schockieren müssen, oder ich hätte zumindest erleichtert sein müssen, dass er mir nicht auch noch dabei zur Hand ging. Tatsächlich aber war ich ihm dankbar. »Sie haben recht«, sagte ich lachend. »Tausend Dank«, fügte ich hinzu, denn das war weniger ein eindeutiges Angebot und mehr eine Lektion in richtiger Aussprache.
»Zitadelle«, so nennen wir im Westen dieses Bollwerk, im Arabischen heißt sie »Qal‘a«, was in der Art, wie die Ägypter das Wort aussprechen, ein Zungenbrecher ist. Ich verhaspelte mich immer wieder, bis mein Fahrer mir, ganz verzweifelt, zu helfen versuchte, indem er meine Aufmerksamkeit auf ein ähnliches Wort mit ähnlicher Aussprache lenkte – »ausziehen« im ägyptischen Arabisch. Da es ein heißer Tag war und mir der Schweiß den Rücken hinunterlief, war ich geneigt, diese Eselsbrücke in die Tat umzusetzen. Doch mittlerweile waren wir am Ziel angekommen.
Die Zitadelle thront auf einer Anhöhe im Osten von Kairo. Ehe Fernsehtürme und Wohnsilos aus Beton in den 1960er und 1970er Jahren aus dem Boden schossen, beherrschte sie die Silhouette der Stadt und wurde gekrönt von der Muhammad-Ali-Moschee, erbaut von jenem Herrscher, der im 19. Jahrhundert die Industrialisierung Ägyptens vorantrieb und eine Dynastie gründete, die bis zur Revolution von 1952 Bestand hatte. Jenseits der gewaltigen Kuppelgewölbe und hoch aufragenden Minarette der Moschee befindet sich eine Terrasse mit großartiger Aussicht. An klaren Tagen – die wegen der starken Luftverschmutzung in Kairo zugegebenermaßen selten sind – kann man die gesamte Stadt überblicken: Direkt unterhalb erstreckt sich das Gewirr der Gässchen von Khan al-Khalili, dem Suk, der einst das Handelszentrum der Stadt war; von dort wandert der Blick weiter nach Norden zu funkelnden Wolkenkratzern, seinen Nachfolgern im 21. Jahrhundert, über den Nil zu den Pyramiden in der Ferne, die umgeben sind von luxuriösen Wohnanlagen mit Namen wie Dreamland und Beverly Hills, und dann über die Schulter zu den baufälligen, wild wuchernden ‘ ashw a’ iyya , Kairos Pendants zu den südamerikanischen Favelas. Auf der Zitadelle beginnt man zu ermessen, wie schwer es ist, bis in die innersten – intimsten – Kernbereiche einer Kultur vorzustoßen: so viele Menschen, eine so große Vielfalt und so turbulente Zeiten. Kein Wunder, dass die bedeutenden Autoren arabischer Erotika den Segen Gottes erflehten, bevor sie sich an die Arbeit machten.
Was die Sexualität anlangt, so könnte man meinen, die arabische Welt gleiche einer Zitadelle, einer uneinnehmbaren Festung, deren Außenmauer jeden erdenklichen Angriff auf die Bastion heterosexueller Ehe und Familie abwehrt. Wie ich auf meinen Reisen herausfand,
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