Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
aus dem Großen Maghreb – Marokko, Tunesien, Algerien. Wir haben ähnliche Erfahrungen gemacht, aber wir kannten uns nicht. Bei dieser Gelegenheit wurde uns klar, dass wir gemeinsame Ziele haben. Wir arbeiten zusammen, tauschen uns über Erfahrungen aus und machen Konferenzschaltungen über Skype.«
Diese Solidarität ist für Hassan als Aktivist und als schwuler Mann von unschätzbarem Wert. »Was ist für uns als LGBT wirklich wichtig? Wir sind nicht sicher. Wir leben seit Jahren so – wir werden diskriminiert, stigmatisiert, ignoriert, und niemand will mit dir sprechen, die Familie hat dich verstoßen, du bist isoliert, ausgeschlossen«, sagte er. »Die Tatsache, dass du ein Netzwerk hast, das dich unterstützt, dass du nicht allein bist in dieser Welt – das gibt dir moralischen Rückhalt. Hinzu kommt die technische Unterstützung, dass man Erfahrungen sammelt, dass man hört, welche Aktivitäten ihre Ziele erreichten und welche nicht, so dass man aus diesen Misserfolgen lernen kann.«
Hassan macht seine Ziele unmissverständlich klar: als Erstes die Aufhebung jenes Paragraphen im tunesischen Strafgesetzbuch, der gleichgeschlechtliche Beziehungen unter Strafe stellt (bis zu drei Jahre Gefängnis), und die Gründung einer neuen NGO, die die Rechte von Minderheiten und ausgegrenzten Gruppen ganz allgemein voranbringen soll. Die Strategie seiner im Entstehen begriffenen Gruppe besteht wie die von Meem darin, sich anderen Organisationen anzuschließen, die im Bereich Frauenrechte, Kinderwohl – ja jedem beliebigen Menschenrechtsanliegen – tätig sind, um die eigenen Interessen dort einzubringen und auf subtile Weise ihre Botschaft in die umfassendere Debatte über soziale Gerechtigkeit einfließen zu lassen. »Wir versuchen, wo immer es eine Gelegenheit gibt, das Thema LGBT anzusprechen, damit die anderen Gruppen Verständnis dafür aufbringen. Wenn man eine verheiratete heterosexuelle Frau findet, die sich offen gegen Stigmatisierung oder Haftstrafen für Männer, die gleichgeschlechtliche Beziehungen haben, ausspricht, dann ist das Risiko einer Gegenreaktion geringer, als wenn man sich direkt outet und sagt: ›Ich bin schwul und stolz darauf.‹ Wir tun das nicht – es ist provozierend. Unsere Arbeit besteht darin, uns zu engagieren, Treffen zu organisieren und uns mit anderen zusammenzutun, die die Sache voranbringen und andere überzeugen können.«
Wie seine Mitstreiter in vielen anderen Teilen der Region weiß Hassan auch ganz genau, was er nicht will. »Ich kenne die tunesische Gesellschaft. Wir werden garantiert niemals die Schwulenehe fordern, weil die meisten von uns den klassischen Rahmen einer Beziehung, die Ehe, ablehnen; daran denken wir nicht. Nein, nicht das Recht, Kinder zu adoptieren, nein, nein, nein. Die meisten [der Männer] sind jung; sie wollen ein normales Leben führen, wie es sich gehört, ohne Stigmatisierung oder Diskriminierung. Das ist unser Ziel für die nächsten fünf Jahre und darüber hinaus.«
Hassan ist vorsichtig optimistisch, dass der Aufstand langfristig den Weg zu Veränderungen ebnen wird. »Die Revolution erlaubt uns Diskussionen über sexuelle Freiheit, aber wir könnten auch fünf Jahre zurückgeworfen werden. Es ist ein heikler Moment«, sagte er. »Und wir müssen sehr wachsam sein. Wir müssen rund um die Uhr auf der Hut sein – im Nu könnte sich alles ändern. Es gibt viele Tunesier, die Meinungsfreiheit, sexuelle Freiheit und so weiter fordern, und andere, die wollen, dass wir zu einer Gesellschaft zurückkehren, die von der Scharia und dem Islam regiert wird. Es gibt zwei Kräfte und ein Gleichgewicht zwischen ihnen«, fuhr er fort. »Als LGBT wissen wir genau, was wir wollen: eine lebendige Demokratie. Ich bin nicht gegen die Islamisten; ich bin gegen niemanden. Ich will eine echte Debatte anstoßen, bei der wir unsere Standpunkte gegenseitig respektieren und nicht versuchen, uns gegenseitig zu ändern. Wir leben in einem Land – Tunesien für dich, für mich, für uns alle.«
In Kairo sind kalkulierte Schritte an die Stelle des revolutionären Rauschs getreten. Für Munir, der von Anfang bis Ende auf dem Tahrir-Platz campierte, waren diese achtzehn Tage eine Erfahrung, die sein Leben verändert hat. »Ich hätte niemals gedacht, dass Ägypter so viel Mut zeigen können. Es war großartig, einfach großartig«, schwärmte er, während seine Stimme angesichts der Erinnerung einen warmen Tonfall annahm. Und eine Zeitlang sei alles Trennende in
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