Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
Gegeninitiativen reagiert. Bei diesen Auseinandersetzungen stehen Ägypten und seine arabischen Nachbarn nicht allein. Länder mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, die sich unter dem Dach der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) zusammengeschlossen haben, folgen der Parteilinie, worin sie vom Vatikan unterstützt werden, der seinen großen Einfluss dazu nutzen kann, jegliche Initiative zu vereiteln, die nach Einschätzung des Heiligen Stuhls seine Definition von Familienwerten untergräbt. Konservative christliche NGOs aus Amerika und Europa haben ebenfalls versucht, mit ihren arabischen und muslimischen Pendants Bündnisse einzugehen, was angesichts des Argwohns, den viele rechte Ideologen gegen den Islam hegen, großes Unbehagen bei ihnen hervorrufen muss. Weitere »unheilige Allianzen«, wie Sexualrechtsverfechter diese Interessenbündnisse nennen, wurden in den letzten Jahren zwischen schwarzafrikanischen und arabischen Regierungen zu dem Zweck geschlossen, eine gemeinsame Abwehrfront gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen zu schmieden.
Es gibt zahlreiche aktuelle Beispiele dafür, wie sich arabische Regierungen Fortschritten bei sexuellen Rechten auf internationaler Bühne entgegenstellen. Bei diesen Gegenoffensiven spielt Ägypten eine Schlüsselrolle. Bei einer historischen Sitzung des UN-Menschenrechtsrats in Genf über die Diskriminierung und Gewalt, die Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität erfahren – einer von etlichen wunden Punkten für arabische Staaten, die verhindern wollen, dass entsprechende Schutzrechte in internationalen Menschenrechtsabkommen ausdrücklich anerkannt werden –, erlebte ich die ägyptischen Überredungskünste live mit. Ägypten trommelte die arabischen Delegierten in dem Sitzungssaal zusammen und brachte sie dazu, aus Protest gegen eine ihres Erachtens gefährliche Entwicklung Richtung Schwulenehe, Adoptionsrecht für Schwule und den Zusammenbruch von Familienwerten den Saal zu verlassen. Ein Diplomat aus einem arabischen Staat sagte mir, seine Delegation habe eigentlich an der Aussprache teilnehmen wollen, aber der Gruppenzwang aus Ägypten sei einfach zu stark gewesen. »›Entweder ihr verlasst den Saal, oder ihr fahrt zur Hölle‹«, gab der Diplomat das ägyptische Ultimatum wieder. »Ich habe zuerst gedacht, sie scherzen.« Aber die ägyptische Delegation nahm ihren Einfluss sehr ernst. »Wir haben den Vorsitz in der Blockfreien-Bewegung, wir sind Mitglied der Arabischen Liga, der Afrikanischen Union und der Organisation für Islamische Zusammenarbeit«, legte mir einer ihrer Vertreter dar. »Ich will nicht prahlen, [aber] wir sind in allen Blocks einflussreich. Noch immer aufgrund der Tatsache, dass wir Ägypten sind.«
In der Vergangenheit erlaubten es die entschlossenen Lippenbekenntnisse zu »Familienwerten« in internationalen Foren ägyptischen Amtsträgern, bei islamischen Konservativen im eigenen Land zu punkten, ohne dass sie diesen Worten irgendwelche Taten folgen lassen mussten. Und sie erlaubten Ägypten, sich unter seinen arabischen und islamischen Bruderstaaten als ein Bollwerk gegen den vermeintlichen Ansturm »westlicher Werte« zu profilieren; in praktischer Hinsicht ist dieser Widerstand auch ein nützliches Unterpfand bei Verhandlungen mit jenen Staaten, die entweder bei den Vereinten Nationen besonders nachdrücklich für sexuelle Rechte geworben haben oder entschieden dagegen sind, wobei sie für ein Entgegenkommen in diesem Bereich Konzessionen bei politischen oder ökonomischen Fragen fordern, die für Ägypten und seine Verbündeten von dringlicherem Interesse sind. Angesichts des neu gewonnenen politischen Einflusses der ägyptischen Islamisten mag dieser Widerstand sogar noch stärkeren ideologischen Rückhalt und neue Kraft finden. Es ist unwahrscheinlich, dass Ägypten und seine Nachbarn in dem internationalen Kampf um sexuelle Rechte in naher Zukunft die Seiten wechseln werden.
Auch in Ägypten selbst wird der Wandel – an allen Fronten – Zeit brauchen. Ich habe viele Wörter benutzt, um die Ereignisse zu beschreiben, mit denen dieses Jahrzehnt in Ägypten und der weiteren arabischen Region begann – »Revolte«, »Aufstand«, »Erhebung«, »Arabischer Frühling« oder »Arabisches Erwachen«, aber es sind auf diesen Seiten nur andere Personen, die es eine »Revolution« nennen. Dies hängt damit zusammen, dass der Weg Ägyptens zur Demokratie – voller Kurven, Umwege, Wenden,
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