Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
entschieden auf der Seite derjenigen, die behaupten, jetzt sei nicht der richtige Zeitpunkt, um eine öffentliche Debatte über die Rechte derjenigen zu eröffnen, die die heterosexuelle Linie überschreiten. Bahgat befürchtet, das würde höchstens eine »künstliche identitätspolitische Auseinandersetzung« schüren, in der die Verteidigung oder Ablehnung von »Schwulenrechten« als Parteinahme für die Errichtung eines islamischen oder eines säkularen Staates in Ägypten betrachtet würde, während das, was wirklich auf dem Spiel steht, über diese Spaltungen hinausgeht. Trotz seiner liberalen Einstellung fordert Bahgat nicht, die Religion solle zurückgedrängt werden. Er wünscht sich eine Verfassung, die auf vielen Säulen ruht: den »Grundsätzen des Islam« ebenso wie den persönlichen Grundfreiheiten, für die er sich einsetzt.
Der Schlüssel zu diesem Gleichgewicht ist die Durchsetzung des Schutzes der Privatsphäre – ein Grundprinzip im Islam. Der Koran ermahnt Muslime immer wieder, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern. »O ihr, die ihr glaubt! Vermeidet zu viel Argwohn! Siehe, so mancher Argwohn ist Sünde. Spioniert nicht! Verleumdet einander nicht!« 70 ist ein wiederkehrendes Thema. Meine Großmutter ermahnte ihre Nachkommen, das Gleiche zu tun, und verdeutlichte ihre Lebensklugheit mit einigen pointierten Sprichwörtern wie jenem, das diesem Kapitel als Motto vorangestellt ist. Diese Regeln fanden Eingang in eine berühmte Geschichte über einen der Gefährten des Propheten, ‘Umar bin al-Khattab, der nach dem Tod des Propheten Kalif – Oberhaupt der wachsenden muslimischen Gemeinde – wurde. ‘Umar, so erzählt man sich, spazierte eines Abends durch Medina, als er ein Geräusch hörte. Er spähte über eine Mauer und sah, wie jemand etwas Verbotenes tat – je nach Bericht hat der Übeltäter entweder Alkohol getrunken oder eine andere finstere Tat begangen. ‘Umar begann den fraglichen Mann zu tadeln und warnte ihn vor dem Zorn Gottes. Aber der Mann zahlte es ihm mit gleicher Münze heim, indem er sagte, wo er ein Mal gesündigt habe, habe ‘Umar sich gleich dreier Vergehen schuldig gemacht, denn Gott habe ihm verboten zu spionieren, durch die Hintertür fremder Leute Häuser zu betreten und an jemanden heranzutreten, ohne ihn zuvor zu grüßen. 71
Im Allgemeinen – auch wenn es natürlich Ausnahmen gibt, wie Munir zweifelsfrei bestätigen kann – setzen LGBT-Bevölkerungsgruppen in Ägypten und in der gesamten Region ihr Leben wie gehabt fort, unter der Voraussetzung, dass sie ihre Sexualität im Verborgenen leben; wenn ihr Sexualleben öffentlich wird, schreiten die Behörden ein. Das, worum es hier geht, ist nicht so sehr das »Coming-out« – das die meisten Frauen und Männer, die ich im arabischen Raum kenne, nicht besonders interessiert –, sondern vielmehr die Freiheit, in ihren eigenen vier Wänden zu tun, was ihnen beliebt. Dieser Wunsch, dass private Angelegenheiten privat bleiben sollen, ist nicht auf homosexuelle Männer und Frauen beschränkt; er bezieht sich auf die ganze Bandbreite des Sexualverhaltens – und er muss gegen die Belange demokratischer Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheiten abgewogen werden.
Der Schutz der Privatsphäre war in der alten Verfassung (die vor der Volkserhebung von 2011 galt) und auch in den übrigen einschlägigen ägyptischen Gesetzen verankert – aber die Durchsetzung ist das Problem. Der hohe Stellenwert einer geschützten Privatsphäre sowie der Schutz vor Gewalt, Stigmatisierung und Diskriminierung zeichnen sich in Diskussionen zwischen Aktivisten und religiösen Führern als Punkte ab, in denen man sich einig ist. In Ägypten sind Bemühungen im Gange, diese Rechte auf einer individuellen Grundlage zu verwirklichen – Bemühungen im kleinen Rahmen, Rechtsanwälte weiterzubilden, damit sie diejenigen verteidigen, die festgenommen werden, sowie Selbsthilfegruppen nach dem Vorbild der Bewegung in Beirut zu gründen, die Männern und Frauen helfen, über ihre Probleme zu sprechen und sich über ihre Rechte zu informieren. Viele der Männer und Frauen, die ich kenne und die gesellschaftlich akzeptierte Basisarbeit im Bereich sexueller Rechte in Ägypten leisten – Sexualerziehung für Jugendliche und Betreuung von Opfern sexueller Belästigung zum Beispiel –, sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter feministischer Gruppen, von Menschenrechtsorganisationen und neuer politischer Bewegungen sind selbst LGBT;
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