Sex und Folter in der Kirche
Beschuldigten müssen die Verantwortung für die Verbrechen übernehmen,234 deren sie angeklagt sind. Das entlastet die Herren der Streckbank. Sie können nicht nur sich selbst als entschuldigt ansehen, sondern auch frei über Strafe und Gnade entscheiden, je nachdem, ob ihnen die Grade von Geständnis und Bußfertigkeit der verlorenen Söhne zusagen oder nicht. Ähnliche Vorgänge könnten bei der Beichtpraxis ausgemacht werden, die nicht zufällig eine zeitgleiche Geschichte hat.23
Beichtstuhl und Befragungsstuhl sind sich so unähnlich nicht. Die Geschichte der Assoziationen des Jünger-Triebs ist freilich nicht geschrieben. Das von Christen abgerichtete »Geständnistier«
Mensch (M. Foucault236) wartet noch auf seine Darstellung. Da die
»unermüdliche Wißbegier der Inquisitoren als konstitutives Merkmal der abendländischen Zivilisation«237 gilt, kann ich das Versäumnis der Wissenschaft nicht als Zufall betrachten.
Wollen und können die Opfer kein Geständnis ablegen, weil sie nichts zu gestehen haben, drohen Christen ihnen die sogenannten Grade eines schauderhaft schmerzlichen Verhörs an, während dessen die Glieder immer mehr auseinandergezogen werden. Schon
beim ersten Grad werden die Schultern ausgerenkt, da die Arme hinten am Rücken nach oben gezogen werden. Während der Fragen zweiten Grades beginnen Ellbogen-, Knie- und Hüftgelenke sich aus den Gelenkpfannen zu lösen, beim dritten Grad lösen sie sich, gut hörbar. Bereits nach dem zweiten Grad des Verhörs ist das Opfer sein Leben lang verstümmelt, nach dem dritten bleibt es gelähmt.
»Du sollst fleißig suchen, forschen, fragen«, rät ein biblischer Autor (5 Mose 13,15). So wird in kirchenamtlichem Auftrag gesucht: Nicht nur das Geständnis238 ist wichtig, auch der am Körper des Opfers angebrachte Beweis. Dieses Teufelsmal muß gefunden werden. Also versucht sich der Kleriker als Lustgreis, und blutlose Theologie lebt ihre Phantasien aus. Wo genau das Böse beim Weibe sitzt, wo Ehre, Sünde, Scham zugleich ausgemacht werden können, 230
steht bei den Wissenden fest. Schamhaare verbergen den Satan, und daher wird gesucht, mit Nadeln und Stiletten gestochen, rasiert, geschabt, versengt, mit Schwefel die behaarte Stelle freigebrannt.239
Mediziner240 und Nichtmediziner, auch Kleriker, suchten nach
dem Mal der Buhlschaft, nach dem Zeichen der Unempfindlichkeit, nach dem Stigma der Lust, das der Satan auf den Festen wildester Ausgelassenheit persönlich angebracht hatte. Wie durch Zufall fanden sich diese Spuren auf den Brüsten, am After oder zwischen den Schenkeln der Opfer. Wird gefunden, ist der Tod sicher. Und weshalb sollte nicht gefunden werden? Wer Inquisition zuläßt und die Streckbank einrichtet, will finden.
Aus einem Prozeßprotokoll von 1631, das belegt, was eine Frau an einem einzigen Tag erlitt:241 Der Henker band sie an den Händen, zog sie auf die Streckleiter und schnürte sie an vielen Stellen.
Da sie zudem schwanger war, wiederholte er die Tortur, goß ihr Branntwein auf den Kopf und zündete ihn an. Dann brannte er die Frau mit Schwefelfedern unter den Achseln und am Hals. Schließ-
lich ließ er sie vier Stunden lang immer wieder am Seil von der Decke herabschnellen, einmal mit gebundenen Armen und Beinen, einmal ohne zusätzliche Fesseln. Dann wurde Branntwein auf den Rücken gegossen und angezündet. Darauf wurde sie erneut gestreckt, diesmal mit schweren Gewichten auf den einzelnen Zehen.
Dann kam sie auf die Streckbank. Dann drückte sie der Folter-
knecht mit dem Rücken gegen ein dornenbesetztes Brett. Daraufhin wurden ihre Füße gebunden und, mit einem Gewicht von einem
halben Zentner beschwert, nach unten gezogen. Dann schraubte
man ihre Waden so fest in spanische Stiefel, bis das Blut aus den Zehen kam. Und wieder das Streckbett, wieder die Streckleiter.
Schließlich die Auspeitschung der Lenden, bis das Blut aus der Nierengegend schoß. Dann der Schraubstock, sechs Stunden. Endlich ein Geständnis.
Der Prozeß der Gewalt von Männern gegen Menschen geschieht
nicht willkürlich, er hat seine Regeln. Die Praxis der Verfolgung von Andersdenkenden nennt sich legal; sie ist Normen unterworfen.242 Juristen und Historiker verweisen auf diese angebliche Rechtsbasis. Sie übersehen dabei nur eins: Das Gesetz der Folter und die Methoden des Mordes wurden von den Gewalttätigen
selbst mit Hilfe besonderer Wissenschaften (Theologie, Jurispru-denz243, Medizin, »Maschinenbau«) willkürlich festgeschrieben
Weitere Kostenlose Bücher