Sex und Folter in der Kirche
verbacken und in den vorgeschriebenen
Wein gemischt zu werden. Diese Untat an einem Unschuldigen, die der wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhält, beschreiben die offiziellen Heiligenakten (Acta Sanctorum) der Kirche zum 24. März.206 Sixtus V. erlaubt 1588 schließlich eine Messe zu Ehren des heiligen Märtyrers Simeon.
Die Folge der unbewiesenen Anschuldigung: Alle in Trient erfaß-
ten Juden wurden mehrere Monate hindurch unmenschlichen Fol-
tern unterworfen, bis sie nach wiederholter, jedesmal verschärfter Tortur die Tat gestanden. Der Angesehenste unter den Gefolterten, Samuel, wurde entkleidet an Händen und Füßen gebunden und an
einem Seil hochgezogen, so daß die Schultern aus den Gelenken sprangen. Dann ließen ihn die Folterknechte unter geistlicher Assi-stenz immer wieder schnell niedersausen, um ihn ebensoschnell hochzuziehen. Erst eine Ohnmacht hindert die Fortsetzung der
Prozedur. Sie wird an den beiden nächsten Tagen wiederaufgenom-224
men; zusätzlich hält man dem Opfer eine Pfanne voll brennenden Schwefels unter die Nase. Nach dem ersten Geständnis Samuels
machen die Christen eine zweimonatige Pause, während der die
übrigen Verhafteten gefoltert werden. Da Samuel inzwischen wi-derrufen hat, quält man ihn von neuem: Er wird mit Weihwasser abgefüllt, und zwei kochendheiße Eier werden in seine Achselhöhlen gelegt. Schließlich geht er »auf eigenen Wunsch« auf den Scheiterhaufen. Der zuständige Bischof berichtet in seinen nach Rom geschickten Akten von den Foltern.207
Noch vierhundert Jahre später ein ähnliches Ereignis: 1840 wurden ein Kapuzinermönch und sein Diener in Damaskus ermordet.
Das Verbrechen wird sofort als »rituell-jüdisch-fanatische Ermordung« den Juden angelastet. Ein Beobachter schreibt zwar, die ganze Anklage gegen die Juden sei ein bloßes Machwerk gewesen.208 Um so grausamer waren die Christen vorgegangen: Den
Angeklagten wurde jedes rechtliche Gehör verweigert, statt dessen wurden die ausgesuchtesten Qualen angewandt, um falsche
Schuldgeständnisse zu erpressen, darunter Auspeitschung, Wasserfolter, Auspressen der Augen mit einer eigens konstruierten Maschine, Folter der Genitalien, Schlafentzug, Dornen zwischen Finger und Zehen, Feuer unter Nase und Kinn.
Als gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts in West- und
Mitteleuropa keine Pogrome und Folterungen mehr angezeigt
schienen, wenigstens nicht, wie bekannt, für ein paar Jahrzehnte, mußte der christliche Haß auf die Juden vorübergehend seine Zuflucht zu Vermutungen, Gerüchten, indirekten Beschuldigungen
nehmen. Seine Tendenz blieb dieselbe. 1892 behandelt die klerikale französische Zeitung Journal d'Indre et Loire unter der Titelzeile
»Ein Ritualmord« die Auffindung einer schauderhaft verstümmelten Kindsleiche.209 Der Artikel läßt nichts unversucht, aus dem Zustand des Leichnams auf eine rituelle Schächtung zu schließen.
Der Verfasser vermutet »Zeichen der Blutentziehung am Hals, an den Armen, an der Schenkel-Schlagader, an den schließlich ge-kreuzigten Gliedern«, denn — so der Beweis! — diese Körperteile sind beiseite geschafft, um keine Spuren zu hinterlassen. Wie selbstverständlich fehlt auch der Penis; an seinem Zustand hätte sich nach Meinung des Schreibers belegen lassen, daß es den als Täter verdächtigten Juden um die Gewinnung von Beschneidungs-blut ging. Die Realität sah anders aus: Die Kindsmutter wurde des 225
Mordes überführt.
Zum Schluß eine Zeitungsmeldung aus Westfalen: 1873 wurde
im Dorf Enniger bei Ahlen ein junges Mädchen ermordet. Allge-
mein wurden die Juden, die es dort zahlreich gab, der Tat beschuldigt. Christen wollten wissen, daß das Blut der jungen Frau, die
»im Rufe aufrichtiger Frömmigkeit« stand, zur Einweihung der
neuen Synagoge gebraucht worden sei. Die gerichtliche Untersuchung erbrachte keine Beweise für diese Beschuldigung, jedoch für einen Lustmord. Die öffentliche Meinung sprach aber kräftig genug, um sämtliche Judenfamilien bis auf eine aus Enniger zu ver-treiben. Die Synagoge wurde nie in Gebrauch genommen, »und
nicht nur die Zeit, sondern auch der Haß der Bevölkerung hat
ihr... übel mitgespielt: in den öden Fensterhöhlen wohnt das
Grauen«210.
Die Schuld der Streckbank
Christliche Patriarchen und ihre Moral: Können wir einfach und folgenlos vergessen, daß diese spezielle Sittlichkeit zu wesentlichen Teilen mit Denunziation, Folter, Mord durchgesetzt wurde? Religionen sind wie
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