Sex und Folter in der Kirche
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und nachhaltig durchgesetzt, sie gelten noch heute: Definieren des Eigeninteresses gegen die anderen, Denunzieren ebendieser anderen, Fangen und Binden, Foltern und Inquirieren, Erpressen von Geständnissen bei Beklagten und Zeugen, Töten, Vernichten der Erinnerung, fortlaufendes Negieren der Tat, Vergessen der Opfer.
Noch ein Vergleich: In der christlichen Literatur findet sich der Hinweis auf die Heimkehr des Ketzers zur Mutter, der heiligen Kirche.244 Das weckt Erinnerungen an das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Doch besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen jener Erzählung der frühen Jünger und der Praxis ihrer Erben: Wurde der Sohn des Gleichnisses mit dem Schlachten des Mastkalbs belohnt, ist für den Ketzer-Sohn späterer Jahrhunderte trotz seiner Reue und Umkehr unnachgiebig der Tod auf dem Scheiterhaufen vorgesehen. Folter und Tod geschehen streng nach dem
Gesetz derer, die von ihnen profitieren. Zwischen den Opfern und den Tätern ist die Kommunikation auf das vermeintlich Wesentliche beschränkt; dieses Eigentliche wird von der Täterseite her definiert.
Der Täter sagt zum Opfer: »Das Gesetz macht dich
leiden, wenn du schuldig bist, weil du es sein könntest, weil ich es will, daß du es seist.«245 Und jeder, der auch nur ein wenig Erfahrung sammelte, weiß, daß eine einzige halbe Stunde Folter mehr Qualen mit sich bringt als drei Hinrichtungen am Galgen.246 Wohl auch mehr Vergnügen und Lust bei den Tätern...
Immer wieder der Blick von oben nach unten, die Degradierung
des Opfers durch Blicke, Worte, Taten. Folter bleibt einer der offensichtlichsten Ausdrücke einer patriarchalen, in Kirche und Staat verwirklichten Zweiklassengesellschaft. Sie ist Synonym für Methoden, die die Herrschenden zur Etablierung ihres Machtwil-lens verwendeten und verwenden. Die Opfer, früher Sklaven und Niedervolk,247 werden durch Foltern von den Edelmenschen und
anderem Gesindel abgehoben, nach unten gedrückt, wohin sie
»gehören«. Folter ist Herrschaftsbedürfnis; sie folgt aus dem Jünger-Trieb. Hier ist keine Rede mehr von Menschenwürde.248 Hier
versagen Fensterpredigten endgültig. Hier wird die körperliche und psychische Integrität bewußt verletzt,249 ein förmlicher Angriff auf den Menschen und seine biologische Konstitution unternommen,
die Rechtspersönlichkeit des anderen von dem einen in Wort und Tat bestritten, die Kommunikation unter Menschen abgebrochen, die Mitwirkung der Opfer-Gruppe an den Angelegenheiten aller (Staat, 232
Kirche, Gesellschaft) zugunsten der Täter-Gruppe behindert. Hier gibt es Subjekte und Objekte, für Zuschauerinnen erkenntlich.
Christen sind es, die den Kampf einer Gesellschaft gegen eine isolierte Gruppe von Menschen propagieren und die Legitimation für den Ausbau eines Herrschaftsapparates liefern.250 Die Kirche ist geschichtlich die Schöpferin neuer und folgenschwerer Herrschaftsstrategien und Kontrollformen. Die Staaten, jahrhundertelang christlich dominiert, wenden Methoden in der Verfolgung von Kriminalität an, deren Autorität in der Tradition des Christentums lag. Das Verbrechen ist als Sünde definiert, die durch die Strafe geheilt werden muß: reinste Jünger-Ideologie. Sünderinnen werden allgemein nicht mehr als verantwortungsfähige Personen angesehen; ihre Handlungen sind auf jenseitige Kräfte zurückzuführen, die die Seelen beherrschen und die Menschen als Subjekte eliminie-ren. Wahrheit aber konnte und kann unter diesen Umständen nicht mehr kommunikativ unter Menschen ausgehandelt werden.251 Wo
gefoltert wird und Geständnisse erpreßt werden, besteht ein institu-tionelles Unterwerfungsverhältnis. Die kommunikative Koexistenz ist zerstört. Das Oben wie das Unten sind festgeschrieben. Lockert sich das Band, kommt erneut die Gewalt derer da oben zum Zuge.
Der eine Mensch tut innerhalb einer Herrschaftsorganisation dem anderen systematisch Gewalt an, schließt ihn bewußt von der Teil-nahme an (»unserer«) Gesellschaft, Staat, Kirche aus.252
Sogenannte Amtspersonen haben zwar immer wieder so schmut-
zige Hände wie die korrupten Helfer der Inquisition.253 Doch sie erscheinen in ihrem heiligen Folterzwang als Träger einer Aufgabe, um Störungen gewalttätig zu beseitigen, sogenannte Majestätsver-brechen254 zu sühnen, die Bösen zu bestrafen, die Guten zu retten.
Darin besteht der Herrschaftswert der Folter.255 Diese bestätigt als Amtsverbrechen256 den degradierten Status bestimmter Mitmenschen und demonstriert den
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