Sex und Folter in der Kirche
Leuchtwürmer, meinte Schopenhauer211, sie be-dürfen der Dunkelheit, um zu leuchten. Vor allem leuchtet der
»unversöhnliche Haß auf diejenigen, die nicht von ihrer Sekte sind«212, ins dunkle Abendland. Immer wieder wird die Feststellung des Pierre Bayle bestätigt, es gebe keine Nationen auf Erden, die kriegerischer sind als die, die sich zum Christentum bekennen.213 Immer wieder wird der Ruf nach Vernichtung laut: Nur
wenige große Gegner des Christentums konnten der Verfolgung durch Christen entgehen. Entweder wurden sie, wie Giordano
Bruno, gefoltert und verbrannt,214 oder die beamtete Christenheit ließ nichts unversucht, sie persönlich und beruflich zu schädigen: Ihre Namen wurden schlechtgemacht,215 ihre Werke zensiert, ein-gesammelt und verbrannt.216 Ihre Bücher konnten gar nicht oder nur unter falschem Namen oder in verstümmeltem Zustand erscheinen.217
Und über allen gegnerischen Geist legte sich die Gedächtnisfolter: Kein Denkender im Abendland sollte sich je eines großen
Namens, einer bedeutenden Leistung solcher Menschen erin-
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nern.218 Vernichtung der gegen das Christentum gerichteten Kultur hieß die Devise, Löschung der sie tragenden Namen und Leistungen;219 diese Verbrechen an der Menschheit gelangen den Monopo-listen in vielen Fällen. Die Christenheit, vor allem Rom, »entschied sich immer für die Meinung, die den menschlichen Geist am stärksten unterjochte und die Urteilskraft am meisten zerstörte«220. Wie Geschichte und Erfahrung lehren, sind Menschen, die an Himmel und Hölle glauben, jedes Verbrechens fähig.221
Den Tod des »abgefallenen« Kaisers Julian, wahrscheinlich die Tat eines gedungenen christlichen Mörders,222 feierten Christen im Jahr 363 mit öffentlichen Gastmählern, mit Tanzveranstaltungen in den Kirchen, den Märtyrerkapellen, den Theatern. Sein letztes Werk wurde vernichtet und mußte aus der Replik (dreißig Bücher!) eines Kirchenlehrers rekonstruiert werden. Christen zerstörten auch alle Bilder, die den zum »Heidentum« zurückgekehrten Herrscher zeigten, ebenso alle Inschriften, die an seine Siege, seine Wohltaten erinnerten, von Arabien und Syrien bis nach Norditalien und in die Alpen hinein. Und die Kirchenführer, zu Lebzeiten des neuen »Judas« zu feige für den offenen Widerstand (obgleich Julian Verfolgung und Folter ausdrücklich ausgeschlossen hatte)223, diffa-mierten den Toten als Werkzeug des Teufels, als »ein Schwein, das sich im Schmutz wälzt«. Im fünften Jahrhundert schließlich verbreitete die Staatsreligion der Christen die tollsten Schauerge-schichten224, oft mit sexuellem Unterton: Julian soll Nonnen zur Entkleidung gezwungen, mit ihren Eingeweiden die Schweine ge-füttert, Kinder haufenweise seinen Heidengötzen geopfert haben.
In altsyrischen Geschichten tritt er als leibhaftiges Monstrum auf, als Teufel, der den Kindern das Herz herausreißt, um rituelle Opfer zu bringen. Das katholische Mittelalter und noch die Jesuitendra-men der Neuzeit setzen die Verunglimpfung eines Kaisers fort, den Große der Geistesgeschichte als ihresgleichen verehrten. Julian soll sich der Höllenkönigin verschrieben, Schwangeren die Bäuche auf-geschlitzt, die Gebeine von Märtyrern geschändet haben.
Voltaire wendet sich an die Christen: »Man gaukelt uns etwas
von Martyrien vor, daß es zum Totlachen ist. Man malt einen Titus, einen Trajan und einen Marc Aurel, diese Muster an Tugend, als grausame Ungeheuer... Man hat geglaubt, die alten Römer zum
Ziel unseres Hasses zu machen, und man hat sich lächerlich gemacht. Wollt ihr echte, wahrhaftige Barbareien, schöne, dokumen-227
tarisch belegte Massaker, Ströme von Blut, die tatsächlich geflossen sind, von wirklich ermordeten Vätern, Müttern, Ehemännern, Ehefrauen und Säuglingen? Ihr barbarischen Verfolger, sucht diese Dinge nur in euren Annalen... Es steht euch sehr gut an, ihr
Barbaren, den Kaisern um so mehr Grausamkeiten anzulasten, ihr, die ihr Europa mit Blut überschwemmt und mit sterbenden Kör-pern bedeckt habt...! «225
Gewalttat, Folter, Mord, Unterdrückung des Geistes als Mittel zur Etablierung einer bestimmten Moral sind nur die eine Seite christlicher Wirkungsgeschichte. Die zweite: Sollen wir uns nicht daran erinnern, daß die Grundprinzipien dieser Sittlichkeit noch heute, gerade im Bereich menschlicher Sexualitäten, allgemeine Gültigkeit beanspruchen, von Oberhirten nach wie vor als einzig wahre verkündigt werden? Doch weder die historische noch
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