Sex und Folter in der Kirche
Hinrichtungen zu praktizieren. Nicht nur prägte eigene Gewalt das fürchterliche Gottesbild, das auf uns kam, die unbewältigte Aggressivität äußerte sich auch im Verlangen nach Opfern. Die Wissenschaft von der Psyche ist sich sicher: »Der Destruktionstrieb ist die Folge eines ungelebten Lebens« (Erich Fromm56). Und die gehemmte Sexualenergie setzt sich in Destruktivität um, sexuelles Unbefriedigtsein steigert bei Männern die Aggression.57 Der Psy-choanalytiker Wilhelm Reich: »Die grausamen Charakterzüge im
Zustande sexueller Unbefriedigtheit wurden mir verständlich. Ich 245
konnte diese Erscheinung bei bissigen alten Jungfrauen und asketischen Moralisten sehen. Im Gegensatz dazu fiel die Milde und Güte genital befriedigbarer Menschen auf. Ich habe nie einen befriedi-gungsfähigen Menschen gesehen, der sadistisch sein konnte.«58
Ein simpler Pfarrer aus einem französischen Dörfchen wurde, als Exempel für seinesgleichen auf der ganzen Welt, 1925 heiliggesprochen und 1929 zum Patron aller Seelsorger (!) erhoben. Wie dieser intellektuell schwach begabte, psychisch stark deformierte59, doch hochberühmte Pfarrer von Ars († 1859) gewirkt hatte? Er sprach fast ausschließlich von der Hölle, peitschte die Seelen, folterte die Gewissen, sagte vom Seelenhirten, dieser müsse schon aus Pflichtbewußtsein stets den Degen (gegen andere, gegen Teufel) mit sich tragen. Aufgrund übermäßiger seelischer und physischer Belastung (Kasteiung, Fasten, Schlafentzug) war er in Versuchungen geraten, die sich zu dämonischen Kämpfen steigerten. Seine pathologische Angst vor der Hölle, diesem riesigen Mülleimer des Klerus, sah die große Mehrzahl der Menschen, vor allem die Verheirateten, als Verdammte. Nicht zufällig griff er »mit flammender Wut« das
Tanzen und andere »irrsinnige Verzückungen fleischlicher Lust«
an. Schon ein Blick konnte die Verdammnis nach sich ziehen, eine einzige Sünde der Putzsucht ein Mädchen zum Werkzeug der Hölle machen - zur Verantwortlichen für viele Verbrechen an unschuldigen Seelen.
Beispielhaft für viele seiner Kollegen erfand dieser Seelsorger nach eigenem Gutdünken Todsünden um Todsünden und drohte
den Menschen die Hölle an. Damit übte und verbreitete er Psycho-terror. Doch Bilder und Statuen des religiös Kranken und Schuldigen sind in fast jeder französischen Kirche zu finden: ein Exempel.
Frömmlerinnen versuchen nicht nur immer wieder, gute Gelegen-
heiten zu nutzen, um ihre besonderen Tugendansprüche zu gesetzlicher Geltung zu bringen.60 Sie verfügen auch über einen Glauben, der nicht nur von einer Marienminne süßest unterdrückter Sexualität,61 sondern auch von Blutgier und Blutverherrlichung gekennzeichnet ist: Er spricht von stellvertretendem Leiden und von Sühne, von Hingabe für andere, von Opfergesinnung wenigstens
bei anderen.62 Von seinen Aggressionen handelt er nicht; die bekommen die anderen von allein zu spüren. Der Großinquisitor,
asketisch gestylt bis in die letzte Faser von Seele und Leib, sexuell gezügelt, ja erloschen, ist der Typus des kalten Mörders. Derart 246
disziplinierte Männer, die ihren »Trieb« im Griff haben, gehen hart mit ihresgleichen um. Und brutal mit allen anderen. Die ihrem Lebensstil angepaßten Frauen,63 längst keine Frauen mehr, machen es ebenso.
Belege für den Zusammenhang von gehemmter Sexualität und
ausgelebter Folterphantasie sind im Christentum Legion.64 Nonnen werden in ihren Visionen von Pfeilen, Lanzen und Degen der Gottesminne durchstoßen, mit Liebeswunden bedeckt, von Orgasmen
der Schmerzenslust überwältigt.65 Und sie foltern sich selbst, aus Liebe zu ihrem Jüngerinnen-Ideal: Ich nenne die heilige Maria Magdalena von Pazzi (1566—1607), eine der hervorragendsten
Mystikerinnen66 ihres Ordens und als das »klassische Beispiel einer sexuell pervertierten, asketischen Flagellantin«67 bezeichnet. Sie wälzte sich in Dornen, ließ sich heißes Wachs auf die Haut träufeln, beschimpfen, ins Gesicht treten, von ihrer Oberin peitschen. Dabei stöhnte sie: »Es ist genug, entfache nicht stärker diese Flamme, die mich verzehrt. Nicht diese Todesart ist es, die ich mir wünsche. Sie ist mit allzuviel Vergnügen und Seligkeit verbunden.«68
Die französische Ordensfrau M. M. Alacoque, 1690 verstorben
und 1864 heiliggesprochen, schnitt sich ein Jesus-Monogramm in die Brust und brannte es aus, als es zu schnell heilte. Sie trank Waschwasser, aß verschimmeltes Brot, verfaultes Obst, wischte
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