Sex und Folter in der Kirche
Athleten »Jesu«, sind noch heute von diesem uralten Begriff fasziniert, und nur wenige sind schon bereit, die krank machende Wirkung eines rücksichts-243
los asketischen Lebens auch da anzunehmen, wo Krankheiten aus Disziplin, Zusammenreißen, Verzicht stammen — und am ehrlich-sten asketogen hießen.41
Vor allem die Jungfräulichen, Engelgleichen wurden in ihren
Träumen sexuell bedrängt und geschunden, von ausschweifenden
Visionen tyrannisiert, von Frauenhaß und von der Angst vor Frauenblut überwältigt.42 Immer wieder berichten sie davon, daß sie Satan und seine Gesellen in Gestalt schöner Mädchen sahen, in
»ganzen Legionen nackter Frauen«, »in jeder Stellung«43. Die
Frau als Eva, als Zauberin, als Schlange, als Gift, als Virus, als Ungeziefer, als Juckreiz, als Flamme, als Anlaß zur Trunkenheit, als Schlauch und Uterus,44 kurz: die Fron der Frömmsten. Ein
Jünger des Frühmittelalters, der das Verbot für Frauen begründet, eine richtige Kirche zu betreten, spricht für alle: »Solange ich noch aus Fleisch und Knochen bestehe, werde ich nie mehr das Gesicht einer Frau sehen, und dieses Kloster, das ich mit Gottes Hilfe errichtet habe, wird niemals mehr einer Frau Zugang gewähren.
Denn es schickt sich nicht, daß wir, die wir die Familie Christi sind, unseren Anblick den Frauen verkaufen.«45
Unseren Anblick verkaufen? Die ursprüngliche Bedeutung von
»sündigen« ist »das Ziel verfehlen«46, das ein Mensch gesetzt bekam oder sich, unter dem Über-Ich, selbst setzte. Heilsegoistisch Ängstliche sehen dieses Ziel gefährdet, wenn sie nicht täglich ihr Kreuz auf sich nehmen, das heißt kämpfen. Männer machen die
Gefahr des Zielverlusts an Frauen fest. Im Grunde kann kein Got-tesmann glauben, daß er in dieser Welt und unter Frauen leben könne, ohne sich zu versündigen. Die Hölle, der heimliche Ort und das Tal der Toten, wird als Schoß der Frau gesehen.47 Zu ihr, dem fressenden Maul der Erdmutter, gehört im Jünger-Mythos der Teufel. Rot ist seine Farbe, Rot ist auch die Farbe der Fruchtbarkeit, des Frauengeschlechts, des Blutes, der Menstruation. Frauen umfangen und verschlingen den Mann; ihr Todesschoß schwächt und foltert den Phallus. Aus solchem Schoß kommt kein Leben; Angstphanta-sie drehte den Mehrbesitz um, zum Ort tiefster, lockendster Sünde.
Abhilfe sollte bei den Konsequenten die Selbstkastration, bei weniger Überzeugten der schnelle Sprung in eiskaltes Wasser48, der Bußgürtel mit Kugeln und Stacheln oder die sogenannte Infibula-tion schaffen, jene Selbstfolter, die den Penis mit einem Ring um-schloß und beschwerte, je schwerer, desto stolzer der Asket. Die 244
kampfbetonte Askese, Unterdrückung der Mannesbegierde und
zugleich Umleitung des fehlorientierten Impulses auf andere, wurde von der Mönchs-Theologie zu Inhalt und Form des Christenle-bens49 und von einer Männer-Soziologie zur »Grundlage aller hö-
heren sozialen und kulturellen Organisation«50 hochgeschrieben.
Die extrem leib- und seelenfeindliche Haltung rächt sich allerdings.
Sie macht nicht nur die Befallenen krank.51 Sie wirkt mörderisch auf andere ein.
Eine Zeichnung John Jack Vrieslanders (1912)52 zeigt, wie
Sittenrichter denken und handeln: Staats- und kirchentragende Personen in Roben und Talaren begleiten eine nackte Frau zur
Hinrichtung. Der Text zum Bild: »Wir müssen die Nackttänzerin aufhängen; das ist die einzige Gelegenheit, bei der wir sie in Muße betrachten können, ohne in den Verdacht der Lüsternheit zu kommen.«
Es bezeichnet die Askese, daß ein Kirchenlehrer sie als tägliches Martyrium beklagt.53 Konnte ein Jünger schon nicht leibhaftig das Martyrium erleiden und seinem Herrn auf diese blutigrote Weise nachfolgen, so war er doch in der Lage, sich als Asket zum »wei-
ßen« oder »grünen«54 statt zum »roten« Martyrium erwählt zu
sehen.55 Wo eine Religion außergewöhnliche Leiden als Kriterium der Heiligkeit verlangt und die Jünger-Gruppe »unseres Herrn« ein Kreuztragen (Mt 16,24) verehrt, ist nichts anderes zu erwarten.
Askese kennt folglich das Synonym »Opferleben«. Märtyrer und
Opfer brachte sie in der Tat hervor: Selbstmörder und Mörder. Von den Folterern zu schweigen.
Askese übt ein, wie sich Schmerzen ertragen lassen, und das
möglichst lautlos, lustvoll. Das erlaubt, Gleichgültigkeit gegen den Schmerz umschlagen zu lassen in Entladungen der Gewalt. Nicht von ungefähr scheuten sich Asketen kaum, grausame Folterungen und
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