Sex und Folter in der Kirche
die eine Unempfindlichkeit gegen sexuelle Regungen einübt,85
schlägt leicht um in Gewalt nach innen und außen. Um Panzerkörper verlangen zu können, braucht der Asket beispielsweise eine Art Panzersprache. Asketisch disziplinierte Sprache ist stets Abwehr-sprache. Ihre Panzerwörter86 - wie »unehrenhaft«, »unanständig«,
»unzüchtig«, »unkeusch« für Körperteile, Gedanken, Handlun-
gen - bauen den Wortpanzer auf, den so Strukturierte brauchen.
Ständige Verdrängung erfordert einen auch sprachlichen Kraftauf-wand besonderen Zuschnitts. Das bewußt Nichtaufgeklärte87,
Verklemmte, Strafbewehrte übt beständigen Druck in Richtung
Bewußtsein aus. Diesem Druck muß durch »unausgesetzten Gegen-
druck das Gleichgewicht gehalten werden«88.
Die um ihr Leben Geprellten wissen: Darf ich nicht lieben, wie ich will, sollen es auch andere nicht dürfen, sondern tun, was ich will. Zum einen empfanden regeltreue Nonnen und Mönche ihre
Liebeswonnen bis hin zum Orgasmus durch die Alltagsübung einer bräutlichen Minne zum Herrn oder zur Madonna.89 Zum anderen
konnte, durfte, mußte die Verdrängung des Sexuellen notwendig ihr Ziel in Quälerei, Tortur und Mord finden: Die seitenlang ge-nüßlich geschilderten Leibes- und Todesstrafen, Hinrichtungsarten, Martern und Qualen,90 an denen sich Kleriker ergötzten und Inquisitoren sich aufgeilten, sind ein Schandmal des Christentums.
Kaiser Julian, zornig über die Praxis der Christen, sich Märtyrer zu schaffen und diese zu verehren: »Immer neue Leichen fügt ihr der alten Leiche (›Jesu‹) hinzu. Ihr habt die ganze Welt mit Grüften 249
und Grabmälern angefüllt.«91 Er sah recht; überall, wo das spätan-tike Christentum mit der Außenwelt zusammenstieß, bestand es
aus magisch verehrten Heiligenschreinen und Gebeinen.92 Doch
wie viele Leichen noch auf das Konto der Christenheit kommen
würden, konnte der Kaiser nicht im entferntesten ahnen.
Ich bitte, nicht nur die Vergangenheit der »schlüpfrigen Materien«93 anzuerkennen, wenn überhaupt von Schuld gehandelt wird.
Also keine Flucht ins Mittelalter! Ich schlage den Flüchtigen vor, sich ihrer Erziehung zu erinnern: Wurden sie nicht selbst in ihren Gewissen gefoltert? Und geschlagen? Von überzeugten Christenvä-
tern zu Hause, von Klerikern in der Schule, von Nonnen im Heim?
Sind tausend und abertausend Zeugnisse mißhandelter, gequälter, gefolterter Kinder, die in Erziehungsheimen kirchlicher Trägerschaft aufwuchsen, frei erfunden? Die Erzählungen über prügelnde Nonnen in den Altenheimen im nachhinein aufgebauscht? Die
Berichte der Arbeitnehmerinnen im Kirchendienst gefälscht?94 Bei gutem Willen kann nachgeforscht werden, wer die Wahrheit sagt und wer nicht.
Beispiele für Gewissensfolter? Aus einem Kleinen Katholischen Katechismus von 1952, genehmigt für den Gebrauch in Schulen:
»Habe ich meinen Eltern Böses gewünscht? Habe ich mich in der Kirche unartig betragen? Gott verspricht den guten Kindern seinen Schutz und Segen und die Seligkeit. Gott droht den bösen Kindern seinen Fluch und die ewige Verdammnis an.«95 Wie viele Leserinnen mögen zu denen gehören, die diesen Schwachsinn als im Gewissen verbindlich betrachten mußten? Die Erzählung einer Frau von heute: »Ich eilte von Pontius zu Pilatus, ich lag in den Nächten wach, grübelte, sezierte meine Gefühle, versuchte, Erlaubtes und Unerlaubtes durch die Gürtellinie zu trennen, bohrte weiter, dabei stets bemüht, ein verbotenes oder schließlich als verboten erkanntes Gefühl nicht absichtlich oder versehentlich hervorzurufen oder es gar als positiv zu empfinden. Ich stand vor dem Richter meiner inneren Inquisition, sah mich die ›heiligmachende Gnade‹ leichtfer-tig und frevelhaft verscherzen, jonglierte stets am Rand des Höllen-abgrunds entlang, taste mich vorwärts und kam nicht weiter... Ich war lange Jahre ein unsicherer Mensch mit ausgeprägter Ich-Schwäche, unfähig, mich in Leben und Beruf durchzusetzen, stets geneigt, mich vor allen Entscheidungen bei irgendwelchen Autoritäten rückzuversichern,... eine typische Vertreterin der tyranni-250
sierten Generation.«96
Ein Mann, Jahrgang 1945: »Und so bemühten wir uns, wenn
wir schon nicht den ›Versuchungen‹ und ›Anfechtungen‹ widerstehen konnten und wollten, so doch möglichst bald zu beichten und
dabei lieber zuviel als zuwenig anzugeben. Im Internat war der diesbezügliche Service - aber damit auch das Überwachungssy-stem - nahezu komplett: Vor
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