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Sex und Folter in der Kirche

Sex und Folter in der Kirche

Titel: Sex und Folter in der Kirche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Herrmann
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differenzierende Tätigkeit unterscheidet unsereins auch vom Rest der Natur. Da es unter Tieren keine folternden Exemplare gibt, sollten die Menschen, wollen sie konsequent und prägnant reden, endlich alle liebgewonnenen Vokabeln meiden und weder Folter noch Folterer tierisch, animalisch, bestialisch nennen. Von bestialischen Torturen oder Qualen zu sprechen oder handelnde Personen als ent-
    menschlicht (im Sinne von tierisch) zu bezeichnen ist ebenso unrichtig, wie »beten« oder »kochen« tierisch zu heißen. Freilich geht die Vokabel im ersteren Fall leichter von der Zunge als im letzteren; so zugerichtet ist die Sprache von Menschen.
    Als hätten die Folterwilligen bemerkt, wie isoliert sie in der Natur vorkommen, wie grundlegend sie - allesamt Menschen - sich von Pflanze und Tier unterscheiden: In ihren Rechtfertigungen sind sie nicht umsonst wahre Meister, jedenfalls nicht weniger als im Foltern selbst. Für viele Heutige mag es allerdings erstaunlich klingen, daß Legitimationen gerade auf dem Humus des Christentums gut
    gediehen. Diese Religion wirkt unwiderstehlich grausam.
    »Es wird so viel Blut vergossen auf der Welt, und wir schauen seelenruhig zu. Erst wenn wir mit dem Blut in Berührung kommen, erst wenn es regelrecht an unseren Händen klebt, sind wir schok-kiert.« Die US-Amerikanerin Jenny Holzer, als das moralische
    Gewissen der Gegenwartskunst vorgestellt,71 druckt deshalb 1993
    das Titelblatt im Magazin der Süddeutschen Zeitung mit echtem Frauenblut (acht Liter, Herkunftsland: Bosnien).
    Die Künstlerin, deren Botschaften ansonsten über Anzeigetafeln am Times Square, dem Piccadilly Circus oder vor einem Casino in Las Vegas jagen,72 ist guter Dinge und hofft auf den Schock. Heilsam soll er sein, in ein Gesamtkunstwerk ist er verpackt. »Wenn Sie die Schrift berühren, dann berühren Sie Blut, das Blut von Frauen«, führt sich das Magazin ein. Die Zeitung versteht etwas von sensa-tionsträchtiger Aufmachung, macht - marktgerecht, in ihrer Werbung! - den Termin aus, da der Schock eintreten soll: »Am näch-29
    sten Freitag.« Die Bundesrepublik erschauert vorübergehend. Der 17. November 1993 wird zum Tag der Wahrheit. Die Schlagzeile
    geht um die Welt. ARD und ZDF kündigen in ihrem Videotext die Chose früh an, und schon vor Erscheinen des Magazins diskutieren konkurrierende Blätter das Ereignis.
    Doch wo Teilnahmslosigkeit zum Synonym für Menschsein
    wurde, bleibt Provokation ohne Sinn. So schnell steht niemand vom Sessel auf, schon gar nicht für Kunst. Das Blut auf der Titelseite stellt sich, genauer besehen, als ein säuberlich aus Blut extrahierter Farbstoff heraus.73 Folter und Tod bleiben demgegenüber unhygie-nisch. Echtes Blut aber auch: Es gerinnt, fängt an zu stinken, verliert seine wunderschöne hellrote Farbe, wird schwarz.
    Im Inneren des Magazins der Lustmord: In die Haut gravierte
    fiktive Vergewaltigungssätze. Aus der Sicht der Täter, der Opfer, der Angehörigen (Blutsverwandten). Beispiele (fast wäre die ge-schmackvolle Vokabel »Kostprobe« gefallen): »Ich lege mein Kinn auf ihre Schulter. Sie regt sich nicht. Ich kann mich konzentrieren«, sagt der Täter. »Meine Brüste sind so angeschwollen, daß ich
    hineinbeiße«, die geopferte Frau. Und wieder der Mann: »Sie
    schmeckt nach nichts mehr. Das macht es mir leichter.« Und wieder die Frau: »Mit dir in mir beginne ich den Tod zu ahnen.«
    Gegen sechzigtausend Frauen waren Opfer. Sie wurden soeben,
    im Krieg vor unserer Haustür, systematisch vergewaltigt, zwangs-geschwängert, gefoltert, gequält, verstümmelt, an Seele und Körper verletzt, ermordet. Diese Nachrichten blieben nicht verborgen. Sie erreichten unsere Wohnzimmer per Videotext, Zeitung, TV-Nachricht - und sind wieder weg. Sie waren schockierend, aber doch nicht so, daß wir uns nicht abwendeten und vergäßen. Wer sich im November 1993 provoziert fühlte? Etliche Wettbewerber der Süddeutschen Zeitung, die sich nicht einigen konnten, ob »so etwas«
    überhaupt erlaubt sei, zumal das Blut wohl auch für die Auflage einer Zeitung fließe. Auch Abonnenten der feinsinnigeren Art wollten ihre Hände nicht schmutzig machen und bestellten ab. Das
    Eingesparte ging wahrscheinlich zu Weihnachten weg, auch
    Scheinheiligkeit hat ihre Feste.
    Kommentatorinnen äußerten Irritation, sprachen davon, daß die nahen Hautaufnahmen noch grausiger wirkten als das Blut, erinnerten daran, daß die Leute im Theater gleich aufschreien, wenn sie mal nachdenken müssen. Wen

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