Sex und Folter in der Kirche
aber widerte der Blut-Medienrum-30
mel überhaupt an? Eigener Sensibilität bedarf es nicht mehr, und auch der größte Aids-Skandal macht nicht richtig Furore, solange kein Bluter in der eigenen Familie oder Wohngemeinschaft betroffen ist. Auf Schlachtfeldern fließt nach wie vor Blut und in Schlachthäusern, wie gesagt, noch mehr; in alle Ewigkeit menschlichen Denkens, Fühlens, Handelns hinein.
Ich doch nicht! Unverantwortlich, mich verantwortlich zu ma-
chen! Ich habe nichts damit zu tun! Die Sätze sind hinlänglich bekannt; sie sind gern gebrauchte Ausreden. Das ist zunächst einmal verständlich: Schließlich muß sich der Mensch vor Mitschuld schützen, und so bleiben stets die anderen die Hölle.
Unsere Zugehörigkeit
Ist der Protest gerechtfertigt? Ich erlaube mir anstelle einer Antwort ein paar Perspektiven auf die Menschen von heute. Dieses Verfahren soll dem Versuch entgegenwirken, alles Grausame, Gefähr-
dende, Bedrohliche in irgendeine Vergangenheit abzudrängen und damit historisch zu verkürzen, um die Gegenwart, das eigene Be-troffensein rein zu halten. Wer Folter in eine Vergangenheitsform abschiebt, will nicht wissen, daß das Vergangene unsere Gegenwart bleibt. Er bleibt geschichtslos, nimmt nur selektiv wahr, was war und was ist. Sein Denken und sein Fühlen benötigen das Löschen der Erinnerung, das Schlußstrich ziehen.74 Findet er Gleichgesinnte, ist der gesellschaftliche Pakt des Schweigens perfekt.
Menschen brauchen einen Hintergrund existentieller Sicherheit, um leben und überleben zu können. Die gesicherte Basis schirmt sie ab gegen jenes Unheimliche, das aus Erlebnissen entsteht, die keine Worte haben, aus dem versteckten, verborgen gehaltenen Grauen.
Und: Das Entsetzliche schreckt gewiß ab, doch es fasziniert auch —
wenn und solange es andere betrifft. Spreche ich Formen selektiver Wahrnehmung an, gehe ich davon aus, daß Teilnahmslosigkeit
Mitverantwortung bedeutet. Denn die Massen der Gaffer, die als Mitläufer eingestuft werden, wenn wenigstens einmal pro Jahrhundert abgerechnet wird, erfüllen eine wichtige Funktion: Ohne sie ist keine Ausübung von Herrschaft und Gewalt möglich. Wie Täter
Opfer brauchen, benötigen sie auch die Zustimmung der Zu-
schauenden, die sich als Wegschauende und Weghörende geben.
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Über Folter zu schreiben heißt eine Chronik der vielen Gleichgül-tigkeiten verfassen. Und eine der Gleichzeitigkeit: Das Schreckliche hat neben dem Banalen seinen angestammten Platz, und Verbrechen nisten inmitten der Idyllen. Zuschauer können, so der Göttinger Soziologe Wolfgang Sofsky75, verschiedene Haltungen einnehmen.
Da sind zunächst die Unbeteiligten, die den Ort des Geschehens passieren, einen Blick zur Seite werfen. Sie schauen nicht zu, sondern sehen zu, daß sie weiterkommen. Klassisch beschrieben ist diese Passantengesellschaft bereits im Neuen Testament (Lk 10,30—32), wo berichtet wird, wie ein Priester und ein Kirchendiener an dem von Räubern Zusammengeschlagenen vorbeigehen.
Unbeteiligte mischen sich nicht ein. Sie ziehen einfach die Gardinen zu oder wechseln den Fernsehkanal, wenn ihnen das Geschehen ungemütlich zu werden droht. Sie wissen genug, denn sie wissen soviel, wie sie wissen wollen. Sie sind erfahren genug, um zu wissen, daß sie nicht mehr wissen wollen. Um diese Erfahrung zu erwerben und zu stabilisieren, treffen sie Maßnahmen des Reizschutzes und der Wahrnehmungsabwehr. Diese helfen ihnen, dem spontanen
Impuls zu begegnen, auf das hinzusehen, was sich nicht übersehen läßt. Was bei solchen Unbeteiligten als verstockte Gefühllosigkeit erscheint, ist in Wirklichkeit Ergebnis einer aktiven Form von Passivität.
Auch der interessierte, neugierige Zuschauer mischt sich nicht ein. Doch er zieht die Gardinen nicht ganz zu, bleibt am Ort der Gewalt. Was ihn reizt, ist der Nervenkitzel des Ungewöhnlichen, jene Angstlust der Gewalt, die die Aussicht auf ein Spektakel der Barbarei verspricht. Zu allen Zeiten finden sich solche Zuschauer; sie waren immer bereit, ein Feuer brennen zu sehen, Gehängte zu begaffen, die Schreie der Gefolterten mit anzuhören. Nie galt ihre Sympathie den Opfern. Vielmehr neigen sie den Herren der Gewalt zu, die sie zuinnerst fürchten - und nicht zuletzt deshalb feiern.
Geduckte Psychen, die Gewalt erlitten, sind gern bereit, sich auf die Seite der Täter zu schlagen, um selbst zu den Siegern, zu den Nichtgeschlagenen zu zählen. Diese Spezies Zuschauer verbirgt sich in der Masse, denn
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