Sex und Folter in der Kirche
von Kindern haben schon Krebs, die Radioaktivität, die sich über Generationen hinweg nicht lösen wird, ist überschrieben mit: In der Hölle auf Erden.87 Und wir? Schon vergessen, seit Waldpilze wieder zu genießen sind?
Fast täglich kommen Zahlen auf den Tisch, die über die Miß-
handlung und den sexuellen Mißbrauch von Kindern in Deutsch-
land berichten; ein wichtiges Tabu der Väterwelt scheint gebrochen. Sind es aber nicht die sogenannten neuen Väter und Mütter, die Zwanzig- bis Fünfunddreißigjährigen, die ihre Kinder mißhandeln? Selten erlebe ich soviel bestwillige Heuchelei wie in diesem Fall, wenn ich an der Universität nachfrage: Ausnahmslos sind es die andern. Doch wer, wenn nicht wir, hält die gesunde Ohrfeige für ein passables Erziehungsmittel? Wurden wir nicht selbst so erzogen und schlagen weiter statt zurück?89 Gehören wir endlich einmal dazu? Wann schlugen wir zuletzt? Wen traf es?
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In den vergangenen zehn Jahren wurden bei bewaffneten Konflikten mehr als eineinhalb Millionen Kinder getötet. Weltweit sind
vier Millionen Kindersoldaten durch Verwundungen dauerhaft
körperbehindert, fünf Millionen verloren in Kriegen ihr Obdach,90
die Hälfte der zweihundert Millionen Kinder in der Karibik und in Lateinamerika hat unter den Konsequenzen der zunehmenden Armut zu leiden, und auf dem lateinamerikanischen Subkontinent
(der bekanntlich seit fünfhundert Jahren auf katholisch zivilisiert wird)91 blühen Kinderprostitution und der Handel mit transplan-tationsfähigen Organen,92 dessen Opfer Straßenkinder sind, aber auch Kinder, die als lebende Ressourcen entführt oder von ihren Eltern regelrecht an Händler verhökert werden. In Kolumbien ope-rieren Ärzte nach Angaben der UNO von 1993 Kindern aus Elends-vierteln die Augen heraus und verkaufen sie an reiche Patienten aus der ganzen Welt.93 In Brasilien werden jährlich vier Millionen Kinder vergewaltigt; drei Millionen Mädchen sind pro Jahr zur Abtreibung gezwungen.94
In den alten Bundesländern fehlen sechshunderttausend Kinder-
gartenplätze und sechsunddreißigtausend ausgebildete Erzieherinnen;95 in Deutschland lebt etwa eine Million Kinder in Familien unterhalb der Sozialhilfegrenze, in Armut. Hundert Millionen Kinder auf unserer Welt werden in einem Zustand der Sklaverei gehalten; die Zwangsarbeit von Kindern in Bordellen, Privathaushalten, Fabriken ist in vielen Teilen der Erde Alltag.96 In Pakistan leisten sie gegenwärtig siebeneinhalb Millionen Kinder, in Indien zehn Millionen, und allein in Bangkok sind achtzigtausend Minderjährige zur Prostitution gezwungen. Und wir? Machten wir mit, anläßlich
einer Reise nach Thailand? Beneideten wir den Nachbarn, der mit einem Ausflug nach Asien renommierte? Das nun doch nicht, nein: Doch zeigen wir, als feministisch informierte Frauen und Männer, noch immer kein Interesse auch am Infantismus97? Oder schlossen wir als Christen die Augen vor der Kinderhölle, dachten ans eigene Seelenheil, stellten uns die jenseitige Hölle vor, beichteten und bereuten möglichst oft Kleinsünden der bourgeoisen Art, damit wir nur ja nicht dem ewigen Feuer verfallen?
Drei Tiergeschichten für viele: Friedrich Nietzsche greift, wahnsinnig vor Schmerz, in Turin ein, als er sieht, wie ein Pferd auf offener Straße gequält wird; Eugen Drewermann berichtet von einem ähnlichen Erlebnis als Kind,98 das seine Theologie prägte;
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und Rosa Luxemburg beschreibt in einem Brief aus dem Breslauer Gefängnis exemplarisch, was Tieren regelmäßig angetan wird:
»Die Tiere standen beim Abladen ganz still, erschöpft, und eins, das blutete (weil es von einem Soldaten geschlagen worden war),
schaute dabei vor sich hin mit einem Ausdruck in dem schwarzen Gesicht und den sanften Augen wie ein verweintes Kind. Es war direkt der Ausdruck eines Kindes, das hart bestraft worden ist und nicht weiß, wofür, weshalb, nicht weiß, wie es der Qual und der rohen Gewalt entgehen soll... Ich stand davor, und das Tier blickte mich an, mir rannen die Tränen herunter — es waren seine Tränen, man kann um den liebsten Bruder nicht schmerzlicher zucken, als ich in meiner Ohnmacht um dieses stille Leid zuckte... Oh, mein armer Büffel, mein armer geliebter Bruder, wir stehen hier beide so ohnmächtig und stumpf und sind nur eins in Schmerz, in Ohnmacht, in Sehnsucht.«99
Bleiben Menschen wie Rosa Luxemburg, alles andere als an-
onyme Christen100, vor den Pforten des Christenhimmels? Gelten sie den Gläubigen als
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