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Sex und Folter in der Kirche

Sex und Folter in der Kirche

Titel: Sex und Folter in der Kirche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Herrmann
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Übergangenen spannend werden könnte. War die Zukunft dieser Vater-Sohn-Sohn-Beziehung derart vernachlässigenswert? Oder birgt sie größte Gefahren, die nicht mit Vaterliebe allein beseitigt werden können? Braucht auch sie Gewalt? Mir erscheint sie typisch patriarchal, von Vaterwerten bestimmt. Ich wundere mich nicht, daß diese Musterbeziehung ohne Mutter auskommt.
    Der »Jesus« der Jünger zieht keine Konsequenzen. Er interessiert sich nicht für den guten ersten Sohn, zumal auch der zweite wieder zu den Guten zählt. Das Resultat: ein guter Vater, zwei liebe Söhne.
    Was will der Heiland mehr? Er läßt Hörerinnen und Hörer bei der Festlichkeit verharren: Der Jubel über die barmherzige Zuwendung des Vaters, die Freude über die Reue des Verlorenen, die Genugtu-103
    ung über dessen Rettung im Vaterhaus, die Vernachlässigung des älteren Sohnes überwuchern das Weiterdenken. Und das Nachfor-schen, In-den-Text-Hineinkriechen.
    Für Predigt und Religionsunterricht mag das genügen. Gewiß
    sind Vater und Sohn wieder vereint. Darauf kommt es dem patriarchalen Erzähler an. Schon zu Beginn waren Sohn und Vater miteinander verschmolzen, eins im väterlichen Geistbereich, im Dunst-kreis des Vaterhauses, das der Vaterhimmel ist. Da herrschen
    Wohlstand, Ordnung, Friede. Da könnte die Geschichte bereits zu Ende sein. Nun muckt aber ein Sohn auf. Vielleicht war ihm sein Vaterhaus einfach zu gut und zu langweilig. Jedenfalls macht er sich davon, um zu sich selbst zu finden und selbständig zu werden. Er will sich aus der gewohnten Vaterherrlichkeit befreien. Dafür muß er die Trennung vollziehen. Und das Erbe nimmt er gleich mit. Das bedeutet, daß er nicht mehr zur Vaterfamilie gehören will. Er zieht einen Schlußstrich. Das können wir nachvollziehen. Sich vom Vater zu lösen ist durchaus keine moralische Schuld. Lösung bedeutet die Entwicklungsschuld derer, die eigenständig werden wollen und
    müssen. Von daher gesehen, wäre es ein existentielles Versagen, nicht zu gehen, alles beim alten zu belassen.
    Überzeugt kindliche Gläubige sehen dies notwendigerweise an-
    ders. Für sie ist Aufgabe des Vaterhauses gleichbedeutend mit Lösung von einer übermächtigen Orientierungshilfe, vom Überich. Abschied vom Vater zu nehmen beinhaltet den Verzicht auf Verhaltenssicherheit, ohne die sie nicht leben und überleben zu können glauben. Trennung vom Vater heißt Enterbung, Verlust der
    Kindschaft, Abbruch der Vater-Sohn-Reihe, schlimmste Enttäu-
    schung für den zurückbleibenden Vaterherrn.
    Was der liebe Gott nicht aushält
    Die immer eindringlicher moralisierende Geschichte paßt JüngerInnen nicht zufällig so gut ins Konzept: Der verlorene Sohn wendet sich voller Lust der Welt zu, fühlt sich in der Fremde, weitab vom sicheren Vaterhaus und -willen, pudelwohl. Und fällt, in moralin-saurer Konsequenz, voll in den Schmutz. Sich mit Dirnen einzulassen, unsittlich zu leben, väterliches Vermögen zu verprassen, einen
    »Lebenswandel« zu führen, das kann nur ein schlimmes Ende
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    nehmen: das Dasein unter Schweinen. Sexuelle Unmoral und ein
    Leben mit Fremden werden für solche Christen eins. Gut, mögen sie denken, daß unser »Jesus« gerade solche Vergleiche anbietet, obgleich seinem Gleichnis gewiß auch andere Beispiele zur Verfügung gestanden hätten. Gut, daß der verlorene Sohn sein Geld mit
    schlimmen Frauen vertat; man weiß ja...
    Tiefer gedeutet stellt das Leben des jüngeren Sohnes kein bloß moralisch anzugehendes, als sexuell verwerflich zu beurteilendes Versagen dar. Der junge Mann lernt nur, was alle erfuhren, die sich mit der Welt einlassen. Eigenständigkeit und Selbstand werden nicht im Schoß des Vaterhauses erlernt, sondern draußen, wo einem der Wind um die Ohren bläst, wo Fehler zu machen Bereicherung des Menschseins bringt, wo Lust erleben auch Last erfahren heißt. Doch der Sohn im Gleichnis erträgt das Menschen-Leben nicht. Er will auf Dauer nichts mit seiner Eigenständigkeit anfangen. Er wendet sich von Frauen und Schweinen zugleich ab. Er erinnert sich an die frühere Symbiose und drängt zurück zum Vater. Anstatt die Lösung durchzuhalten und ein Mensch zu werden, geht er zurück zum
    Anfang, ist entschlossen, wieder Kind zu werden. Die Tatsache, daß der Menschenfreund »Jesus« eigens eine Hungerkatastrophe einführen muß, um diese Wandlung herbeizuführen, kennzeichnet das Gleichnis nochmals zur Genüge; der Rückgriff auf patriarchal besetzte Begriffe wie »Fremde«

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