Sex und Folter in der Kirche
bekanntlich am besten zurückkriechen, sich aufgeben und beten.
Wir können zwischen den Zeilen lesen, was »Jesus« nicht er-
wähnt. Die Moral von der patriarchalen Geschichte wird überdeutlich.
Der Vater mag dem Zurückgekehrten — wohl schon beim
Fest - einreden: Siehst du, so geht es allen, die nicht brav sind, nicht beim Vater bleiben wollen. Die wollen sich mit schlechten Frauen einlassen, dafür müssen sie eben hungern, sich mit Schweinen abgeben, ihre Sohn-Identität aufgeben, schließlich heimlaufen. Ein zweites Mal wagst du, mein lieber Sohn, diesen Schritt nicht, du bist endgültig bekehrt, du bleibst für immer zu Hause. Du wirst sogar allen, die weglaufen wollen, deine Urerfahrung predigen: Fremde ist Elend. Sie bringt nur Unglück, und die Fremden sind nie deine wahren Väter.
Die Bestimmung des Fremdseins und der anderen steht einmal
mehr fest: Draußen im Elend, wie altes Deutsch konsequent die Fremde umschreibt, finden sich eigentlich nur die (gerade auch sexuell) Gefährlichen, die Katastrophalen. Zu Hause aber, wo die Gehorsamen sitzen, feiert es sich leicht. Da wird das Mastkalb geschlachtet, da herrschen eitel Wonne und Sonnenschein. Alles in allem ein schreckliches Gleichnis. Gäbe es nicht noch unmenschlichere Erzählungen im Evangelium, hieße ich es den Tiefpunkt der Gottesreden »Jesu«.
Wie lange wird es dauern, bis die Hörer solcher Vaterworte ihre 107
Folgerungen ziehen? Sich gegen Fremde nicht nur abschotten, sondern aggressiv zur Wehr setzen? Die lockende Gefahr des Draußen beseitigen? Feste nur noch für Eigene versprechen? Schließlich, ganz folgerichtig, Feste aus Anlaß der Vernichtung anderer feiern?
Lustvoll Scheiterhaufen anzünden? Mit Freuden foltern? Blut flie-
ßen sehen wollen? Die Geschichte des Christentums kennt für jede Frage die grausame Antwort.
Erprobteste Stütze des Despotismus
Wir werden sehen, wie unmenschlich sich das im Gleichnis vom
verlorenen Sohn angelegte christlich-patriarchale Gottesprinzip konkretisieren läßt, wie nahe es der Folter steht. Auf manche mag diese Rede von Gott anstößig wirken. Dieser Effekt ist beabsichtigt.
Bücher, die ihren Namen verdienen, machen die Leser ehrlich. Sie bleiben nicht an der Oberfläche, erschöpfen sich nicht in salbungsvoll nichtssagenden Worten, locken die versteckte Liebe und den
subtilen Haß der Leser hervor. Wer sich ärgert, sollte die Schultheologie und deren in der Tat skandalöse Inhalte näher betrachten. Es genügt nicht, sich mit dem Status quo einer Religion zufriedenzugeben und Theologen einfach weiterpredigen zu lassen, die ihren Brotberuf in der Kirche haben. Christinnen müssen sich schon die Mühe machen, ihren Vor-Denkern auf den Schreibtisch zu sehen.
Vielleicht entdecken sie, wieviel Aggression sich da unter frommen Sprüchen verbirgt.
Die hohe Theologie? Ich bin weit davon entfernt, gegen den
Glauben als solchen, gegen die subjektiven menschlichen Elemente und Gründe einer Religion zu kämpfen, sagt Ludwig Feuerbach.5
Denn die Philosophie hat dies gar nicht zum Gegenstand; es liegt außerhalb ihres Gebietes. Das Denken ringt mit den Glaubenstheo-rien, mit dem Glauben, der bereits durch die Köpfe und Hände der Gottesgelehrten ging. Immerhin hebt die Gotteswissenschaft, so man sie gewähren läßt, die folgenden Tatsachen über ihren Gegenstand, wenn auch in den gesetztesten Worten, in den Rang einer Offenbarung. Diese trieft vom Salböl der Friedlichkeit und ist im innersten aggressiv. Es handelt sich um »fließende Freundlichkei-ten, die mit permanenten Bösartigkeiten gespickt sind«6. Basis für Folter...
108
Einmal mehr sind nicht Randgebiete der Religion betroffen. Wer der Kirchenkritik vorwirft, sie beschäftige sich mit medienwirksa-men Nebenthemen, kann sich mühelos eines Besseren belehren
lassen. Zwar sind Hinweise auf die Verbrechensgeschichte der
Kirchen oder auf deren Umgang mit unser aller Geld nicht zweitrangig; nicht zufällig lösen sie heftige Reaktionen bei den Betroffenen aus. Doch treffen Aussagen über Gott bei vielen Menschen auf noch tiefere Schichten. Das kann auf einem simplen Denkfehler beruhen. Denn es ist falsch, Gottes-Reden nur individualistisch verstehen zu wollen. Sie bleiben nicht im stillen Kämmerlein des Zwiegesprächs der Seele mit ihrem Schöpfer. Welches Bild von
Gott auch immer ein Land, ein Volk, einen Staat mitbestimmt, es hat gesellschaftliche, politische, finanzielle Konsequenzen. Gott ist eine eminent öffentliche
Weitere Kostenlose Bücher