Sex und Folter in der Kirche
zurücknehmen können. Zuzeiten reichte ein Missionsbefehl hin, um Völker von der Erde zu entfernen. War Gott je wert, Kinder zu haben?
Wir könnten die Christgläubigen vernachlässigen. Doch chri-
stelndes Denken bedroht nicht allein die Jüngerinnen, sondern uns alle. Es wird seine Metastasen nicht los: Antikategorien, die uns gefährden. Oder kennt das Neue Testament den Dialog mit den
Gegnern? Sind Christenköpfe und -herzen nicht noch voll von der peinlich inspirierten Häme wider Pharisäer, Juden, Schlangenbrut?
Meldung 1993: Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in
Deutschland, Ignatz Bubis, berichtet von Drohbriefen katholischer und evangelischer Geistlicher.203
Wer, wenn nicht Christen, führte die Selektion der Menschen in Gute und Böse ein, bereitete »unseres Gottes« Endlösung vor,
schied Erlöste von Verdammten? Ich stehe nicht an, Theorie und Praxis der römischen Kirche die eines grundsätzlich totalitären Systems zu nennen. Der Totalitarismusbegriff ist zwar zum einen nicht mehr sonderlich beliebt - er gilt als Relikt des Kalten Krie-98
ges -, zum anderen sträuben sich viele noch immer, ihn auf die Kirche zu übertragen; das mittlerweile intensivierte Gerede von Versöhnung und Dialog streut eben Sand. Doch nach allem, was
wir wissen, war und ist gerade das katholische Individuum einer omnipotenten Organisation ausgeliefert, mit der es sich, unter der Strafandrohung von Sünde und Heilsverlust, möglichst total identi-fizieren soll. Angeblich will »Christus selbst« es so und nicht anders. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut (Mt 12,30).
Auch wenn Christinnen auffahren: Totalitäre Systeme verlangen die Auslieferung aller. In den absoluten Ansprüchen der einen verstecken sich Wille und Legitimation zum Zugriff auf andere, ja zur Vernichtung anderer. Wer, wenn nicht das System Religion und Kirche, bezeugte dies? Legte christlicher Biedersinn nie Feuer? Zündeten Christen keinen Scheiterhaufen an? Waren in den Folterkellern seit eh und je nur Nichtchristen tätig? Ist das Foltern und Mordbrennen nur ein Popanz einer antiklerikalen Enthüllungsliteratur? Nein, im Christentum geschah alles, was es an Möglichkeiten im Christenmenschen gibt. Eugen Drewermann nennt die
Schuld der Theologie unübersehbar groß. Die professionelle Rede von Gott beutete die Angst der Gläubigen vor der Strafe, dem
Evangelium ganz treu, zum Erhalt kirchlicher Macht und Verfü-
gungsgewalt bis zur Schamlosigkeit aus. Was wir heute wissen: Das Reden von Gott und Mensch, von Himmel und Hölle, von Lohn
und Strafe verändert sich im Kern, sobald die Betrachtungen der Tiefenpsychologie an diese uralten Projektionsformen menschlicher Hoffnungen und Ängste herangeführt werden.204
Stellt aber die Hölle dar, »was uns selber verkürzt, verstümmelt, verengt, verformt«205, sind bestimmte Menschen unter solch hölli-schen Bedingungen förmlich dazu gezwungen, sich gegen andere
Menschen zu stellen: Die Andersartigkeit, die Weite anderer ist unerträglich. Sie muß diesen Fremden bestritten, aus ihnen heraus-gefoltert werden. Die Ketzergeschichte ist randvoll mit solchen Untaten der einen Menschen gegen die anderen. »Und willst du
nicht mein Bruder sein...«: Dieser Fremdenhaß blieb erhalten, auch nachdem die christlichen Scheiterhaufen ausgelöscht worden sind — weil sie nicht von allein erloschen!
Ist auch Gleichgültigkeit in einer solchen Religion angelegt?
Ohne abschließend urteilen zu können, verweise ich auf die man-99
nigfachen Formen des Heilsegoismus der Gläubigen sowie auf die verschiedenen Jenseitstheorien des Christentums, die auch das karitative Denken in der Kategorie »Rette deine Seele« fördern oder ausschließlich einem gnädigen Gott das aktive Tun in seiner Welt zuschreiben. Doch bleiben diesem Gott gegenüber schwerwiegende Fragen offen: Er soll allmächtig sein. Hilft er deswegen einem kleinen, unschuldigen Wesen, was jeder irdische Vater täte, obgleich er vergleichsweise ohnmächtig ist? »Tiefer als von jeder anderen Regung, tiefer selbst als von meiner Angst«, sagt die Kas-sandra bei Christa Wolf, »bin ich durchtränkt, geätzt, vergiftet von der Gleichgültigkeit der Außerirdischen gegenüber uns Irdischen.
Gescheitert das Wagnis, ihrer Eiseskälte unsere kleine Wärme ent-gegenzusetzen.«206 Über ein paar Folgerungen für heutige Christinnen kann im letzten Kapitel dieses Buches berichtet werden.
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Göttern
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