Sex und Folter in der Kirche
Erscheinung. Nicht nur die Heilsbedürfnisse einzelner, auch Kirchengeschichte und Kirchengeld bleiben auf die jeweilige Figuration Gottes ausgerichtet: Je nachdem, wie
ein Gott geschaffen ist und gepredigt wird, bestimmt er Geschichte und Finanzgebaren der Seinen und vieler anderer Menschen. Kein Zufall, daß das Problem sorgsam umgangen wird. Die Immunisie-rungsstrategien sind erprobt.
Hier besteht Nachholbedarf. Heraus also, heraus mit den Resultaten der Bibel-, Dogmen- und Religionskritik, ans Tageslicht mit den Ergebnissen der Jesus-Forschung! Sollen denn noch immer
jene, die glauben oder wenigstens zu glauben versuchen, von denen gegängelt werden, die es nicht mehr tun? Muß tiefe Nacht über den Köpfen und Herzen der Menschen liegen, damit jemand auf die
Idee kommt, in einer solchen Religion, bei einem solchen Gott, bei diesem »Jesus« den Weg, die Wahrheit und das Leben zu erkennen?
Meldung 1993: Kirchenjurist Steffen Heitmann sagt während
seiner Kampagne als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten:
»Wir müssen uns bewußt werden, daß alles, was auf dieser Welt geschieht, seinen Sinn nur erlangt aus der Transzendierung der Wirklichkeit.«7
Fragen wir nach. Welche Transzendenz, wenn nicht Gott selbst, sollte heute in Frage stehen? Warum scheuen sich Christen, die ihren Gott relativ unbefragt in der Verfassung verankern möchten,8
das heiße Eisen anzufassen? Auch andere zeigen starke Berührungs-
ängste: Es gibt eine ziemlich zahlreiche Schar ehrlicher Menschen, die zu vernünftig sind, einzelne Dogmen ernst zu nehmen, und sie 109
praktisch verwerfen. Doch sind sie nicht entschlossen genug, die Christenlehre ganz abzutun. Zwar geben sie viele spezielle Unstim-migkeiten preis und halten Unsinn, den ihnen Theologen als Tief-sinn verkaufen, schon längst nicht mehr für den Sinn ihres Lebens.
Sie weisen bestimmte Aussagen der Bibel wie die Wundererzählungen zurück, doch klammern sie sich bewußt oder unbewußt an das Hauptwunder, das Quelle, Erklärung, Legitimation alles anderen sein soll, an die Existenz Gottes.9 Ich meine, hier müßte weiter ausgeholt werden. Wer über die Folterpraxis von Christen spricht, kommt an deren Gott nicht vorbei.
Zunächst einmal: Alle Gottesbeweise der Geistesgeschichte sind gescheitert.10 Es ist allerdings auch nicht zu beweisen, daß es keinen Gott gibt. Doch die Theologie hatte zweitausend Jahre Zeit, Belege für ihre Auffassung vorzulegen. Sie schaffte es nicht. Kann der
belegbare Mißerfolg nicht auch damit erklärt werden, daß es keinen Gott gibt? Doch wir leben in einem Land, in dem einer scheel angeschaut, wenn auch nicht mehr strafrechtlich verfolgt oder gefoltert wird, der einen Gott nicht akzeptiert, den ihm niemand bewies.
Die Eigenschaften Gottes, so es ihn gibt, sind durchweg unbe-
kannt. Auch die christliche Offenbarung hat keine Lösung. Ein Hauptproblem »Gottes« und seiner Stellvertreter auf Erden bleibt die Frage nach dem Bösen in der Welt. Es ist eine Frage nach den
»göttlichen Eigenschaften« Liebe und Gewalt. Noch ist es keiner Theologie gelungen, zum einen Gottes Güte und zum anderen die Übel der Welt hinreichend zu erklären. Das Problem selbst erkannte bereits der griechische Philosoph Epikur, lange bevor es Christen gab: Will Gott das Böse nicht beseitigen, ist er nicht gut.
Kann er es nicht, ist er nicht allmächtig.11 Und Friedrich Hebbel zieht die persönliche Konsequenz: »Ich glaube nicht an einen guten Hausvater über den Sternen, der, zu ohnmächtig, die Wunden
seiner lieben Kinder zu verhüten, doch allmächtig genug ist, sie alle zu heilen..,«12
Ein ohnmächtiger Gott? Schauen wir in die Geschichte der Kir-
chen, fällt diese Schwäche stark ins Gewicht. Wir Christen ziehen in den Krieg, hauen, stechen, würgen, kennen und üben alle Finessen der Folter — und unser Gott schweigt zu diesen Gewissenstaten, während Prediger sie reuelos rechtfertigen. Christinnen aber verbinden die Wunden, pflegen die Verletzten. Diese Tätigkeit wird 110
schließlich von denselben Predigern, die ihre gerechten Kriege aus-riefen, als Muster christlicher Nächstenliebe gerühmt: ein doppel-moralisches Rollenspiel. Die beste aller Welten? Straßenkinder werden von bezahlten Killerbanden abgeknallt, um das Image eines katholischen Landes in Südamerika zu heben, bettelnde Jugendliche suchen Zuflucht bei Schnüffelstoffen, um diese gottgeschaffene Welt möglichst schnell und anhaltend zu vergessen.13 Gewalt, Krankheit und
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