Sex und Folter in der Kirche
und »Schweine« ebenso.
Zunächst beherrscht den Verlorenen und aus Hunger Reumüti-
gen sogar die Phantasie, daß es mit dem Sohn-Sein nicht so einfach klappen könnte, sondern daß er sich als künftiger Tagelöhner des Vaters wieder ins Paradies der Kindheit einarbeiten müßte. Daher zeigt er sich bereit, sich als Sünder zu präsentieren. Er tut alles, um akzeptiert zu werden. Einen autonomen Weg zu gehen, riskiert er nicht mehr. Dieser Sohn bleibt Sohn; das reicht ihm (und den
Jüngern) offensichtlich. Er macht sich dafür zum Knecht des Vaterwillens. Kein Zufall, daß gerade »Jesus« dieses Sohnesgleichnis erzählt. Er selbst fließt ja in den Evangelien über von seitenlangen gehorsamen Bekundungen des eigenen Sohn-Seins. Er will nichts anderes, als den Willen des Vaters tun (Mt 6,10; 7,21; 26,42; Lk 22,42; Jo 4,34; 5,30). Er sieht peinlich genau auf die Ehre seines Gottes, und die ihm nachfolgen wollen, übernehmen bereitwillig diese Vorgaben. Diese bringen ihnen auf Erden Sicherheit und da drüben, wo der Vater alles zu bestimmen hat, den Lohn, den sie für 105
gerecht halten. Ihr »Jesus« selbst versprach ihnen dies (Mt 7,21).
Im Gleichnis setzt bald das sogenannte christliche Wunder ein.
Der Vater läuft dem verloren Geglaubten entgegen, fließt von
Barmherzigkeit über, vergibt scheinbar bedingungslos, freut sich wie noch nie. Christinnen jubeln gewohnheitsmäßig mit. Sie wissen, warum. Sie denken, so werde es bestimmt auch ihnen ergehen, wenn sie sich reuig zeigen. Sie fühlen sogar, daß es ihnen schon so oder ähnlich erging. Kein Grund zur Freude? Auf diesen Gott ist Verlaß. Der Allmächtige hat offenbar ein Faible für verlorene Söhne und Töchter; er reagiert immer und prompt auf die winzig-sten Anzeichen kindlichen Gehorsams. Das macht ihn Jüngern
sympathisch.
Das Wunder ist gar keines. Dieser Vater, Gleichnis für Gott,
handelt bis ins Detail so, wie ihn seine Schöpfer in ihren Regelkreisen reagieren lassen wollen. Patriarchen handeln immer so; ihr Gott macht keine Ausnahme. Sie verlangen von ihren Söhnen Reue und Rückkehr. Ohne Vorleistungen des Sohnesgehorsams kennen sie
kein Erbarmen. Daher ist noch immer keine einzige Stelle im Evangelium amtsbekannt geworden, an der das Gegenteil festzumachen wäre: Gottes sogenannte Sünderliebe verschenkt sich niemals an Menschen, die bis zuletzt reuelos blieben.3 Wie barmherzig der Vater im Gleichnis wirklich ist? Wie human er sich verhält? Wie
vorbildlich für Christen und andere Menschen? Er ist zwar gut informiert über das Los seines Jüngsten, doch kommt er nicht auf die Idee, dem Sohn nachzugehen. Er versucht nicht einmal, die Motive des in die Fremde Gegangenen zu verstehen, geschweige
denn anzuerkennen. Er nimmt das fremde Leben des Sohnes über-
haupt nicht ernst. Die Not des Jüngsten zu teilen fällt ihm nicht im Schlaf ein. Er sitzt einfach da, lebt sein Vaterleben, wartet ab. Er hat nämlich einen Trumpf im Ärmel und wird ihn ausspielen, wenn die Zeit gekommen ist. Der Sohn, der auszog, ein Mann zu werden,
wird es zu spüren bekommen.
Kaum kriecht der Sohn zurück, macht der Gleichnis-Vater es sich ein weiteres Mal auffällig einfach. Er strengt sich noch immer nicht an. Er beutet die auch diesem Sohn anerzogenen Schuldgefühle
förmlich aus, setzt sich — völlig unerwachsen, ganz und gar nicht souverän — damit auseinander und vereinnahmt den Jüngsten aufs neue. Nun hat er ihn wieder, seinen legitimen Sohn. Der Erbe bleibt künftig gewiß zu Hause. Es ist zu befürchten, daß es weitergehen 106
wird, wie der Vater von Anfang an plante. Denn der einzige Ausreißversuch, den ein Kind riskierte, ist in den Augen der Guten, der Daheimgebliebenen gescheitert. Wer im Vaterhaus sitzen blieb, kann das Leben dieses Sohnes in der Fremde fortan als bloße
Episode deuten. Christen machen regen Gebrauch von dieser Möglichkeit.
Dahinter versteckt sich eine besondere Häme. Das Fest im Vaterhaus ist nur Verbrämung der schäbigen Tatsachen. Es bleibt an der polierten Oberfläche der Vatergewalt. Anstatt den erfahrener gewordenen Sohn weiter zur Freiheit zu befähigen und ihn entsprechend zu fördern, deckt ein Vater dessen erfolgreiche wie erfolglose Entwicklung mit bedingungsloser »Liebe« zu. Er verfolgt dabei höchsteigene Interessen: Er macht den anderen zum ewigen Kind, weil er nur sein Bestes will. Diese Adoption4 gelingt ihm auch, gegenüber einem — durch Hunger! — widerstandslos Gewordenen.
Not lehrt
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