Sex und Folter in der Kirche
von uns. Was sich auf dem Höhe- und
Schlußpunkt der Passion »Jesu« abspielt, ist eine Abfolge nackter Grausamkeiten. Diese verteilen sich auf Menschen und auf Gott, wobei letzterem eine Hauptschuld, wenn nicht die Alleinschuld am 167
Foltertod zugewiesen werden muß.
Warum hatte es ausgerechnet das Kreuz zu sein, das den Sohn
Gottes ereilte? Das jüdische Recht kannte vier Arten der Todesstrafe: Steinigung110, Verbrennung (Erstickung mit einer brennenden Fackel, die dem Delinquenten in den Mund gesteckt wurde), Enthauptung und Erdrosselung. Die Kreuzigung war zu Zeiten Jesu durchweg eine römische Hinrichtungsart,111 die Geißelung ge-hörte, als Selbstverständlichkeit, in deren Vollzug hinein. Noch heute ist bekannt, welche Arten von Geißeln und Peitschen verwendet wurden und wie viele Schläge erforderlich waren, um einen Menschen zu foltern oder totzuschlagen.112 Hören wir von Gei-
ßeln, fallen uns Bilder von der Geißelung »Jesu« ein, von einem blutüberströmten Mann im Spottmantel, die Dornenkrone auf dem Kopf, die wehrlose Haut zerrissen. Diese Erinnerung ist einseitig: Peitschenschläge sind Erziehungsmittel in patriarchalen Gesellschaften; hier ist Gewalt gegen Frauen und Kinder eine alltägliche Erscheinung.113 Entsprechend verbreitet ist die Kultur der Geißel: Wie viele Tempel und andere öffentliche Bauwerke zum Beispiel mögen sich dem Gebrauch der Peitsche verdanken? Ein König des Alten Testaments droht dem Volk an (l Kö 12,2), er werde, nachdem seine Väter mit Ruten gezüchtigt hatten, künftig mit Skorpio-nen schlagen, das heißt mit geflochtenen Peitschen, die Eisenköpfe und Stacheln trugen, welche sich wie Angelhaken ins Fleisch bohrten.
Beispiele aus dem Einflußbereich des Christentums? Unter allen Martern fand die Geißelung von Erwachsenen die schnellste Verbreitung in Europa; in Rußland, wo als legale Strafe bis zu fünfhundert Schläge hintereinander verabreicht wurden, hielt sie sich bis ins neunzehnte Jahrhundert. Erst 1820 wurde in England die öffentliche Auspeitschung von Frauen verboten; die Züchtigung von Meu-terern, Trunkenbolden und Vagabunden war damit keineswegs zu
Ende. Einmal mehr waren es vorgeblich sexuelle Verfehlungen, die patriarchale Täter mit Vorliebe Peitsche und Geißel schwingen ließen; noch 1871 wurden Prostituierte in Paris öffentlich ausgepeitscht.114 Ein »Werkzeug der göttlichen Vorsehung« war den
Herren in die Hand gegeben; es richtete sich gegen alle da unten, gegen untreue Ehefrauen, Sklaven, Unzüchtige. Eine Verordnung von 1679 schrieb beispielsweise vor, daß alle, die mit einer Ge-schlechtskrankheit in ein englisches Hospital eingeliefert wurden, 168
zunächst einmal gründlich ausgepeitscht werden mußten. Religiös begründete Anweisungen für die Pflanzer in Kuba erläutern im
achtzehnten Jahrhundert jedes Detail der Auspeitschung von Skla-vinnen, deren Unterleiber zunächst einmal mit Roßhaarhandschuhen vorbehandelt werden sollten.115 Ein Buch von 1698 empfiehlt die Geißel aber auch für den Hausgebrauch: als Arznei gegen
Melancholie, Wutanfälle, schlechte Augen, Ohren und Zähne,
Kröpf und Fehlgeburten.116 Die Geschichte dieser Leibesstrafe, aber auch des freiwilligen Gebrauchs der Peitsche ist noch nicht geschrieben.
Ebensowenig wie die Geißelung als ehrenvolle Folter galt, ist der Tod am Kreuz kein Märtyrertod, der Ehre eingetragen hätte. Die Kreuzigung, von Persern, Puniern, Griechen und Römern prakti-ziert, eine für die Antike anstößige Angelegenheit, war auch für die Römer trotz ihrer eigenen Praxis ein Ärgernis ersten Ranges, eine Barbarei.117 Den Messias der Juden an ein Kreuz zu hängen bedeutete den äußersten Schimpf, der ihm angetan werden konnte. Wäre Jesus gesteinigt worden wie andere oder enthauptet wie der Täufer Johannes, dann hätten die Jünger alles besser ertragen. Doch die Kreuzigung, nach Cicero die grausamste, fürchterlichste Strafe,118
ist höchst ehrenrührig: Verflucht, wer am Holze hängt (5 Mose 21,23). Eine Kreuzigung war, modern gesprochen, die Angelegenheit der Unterschicht; Täter und Opfer bedingten sich. Zum einen
wurden fast ausschließlich Sklaven und Angehörige der unteren Stände eines unterworfenen Volkes gekreuzigt, zum anderen ver-richteten Sklaven und schlechtbezahlte Söldner die Henkersarbeit.
Aus der Übung kam die Kreuzigung in Form der Todesstrafe mit
dem Zusammenbruch des Römischen Reiches; an einem gewöhnli-
chen Verbrecher die Todesart »Jesu«
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