Sex und Folter in der Kirche
die
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vielen, die Judasse, die Juden. Judas, der Ewige Jude, der Prototyp der Treulosigkeit. Elf Apostel gehören zur neuen Gemeinde, einer zieht die Finsternis des (jüdischen) Unglaubens vor. Dieser wird von den übrigen so stark gehaßt, daß das Johannesevangelium die
Aussage wagt, der Teufel sei in ihn gefahren.102 Damit ist die Verteufelung eines einzelnen — und aller, die ihm in der Judastypo-logie der Kirchengeschichte zugeordnet werden! - mitten in der Frohbotschaft der Christenheit abgeschlossen. Und »Jesus« hätte dies nicht verhindern können? Damals nicht, bei Judas, und auch später nicht?
Zur Erinnerung: Begann zu mittelalterlichen Zeiten, die noch
immer keine vergangenen Zeiten sind, die Osterfeier der Christen, wurden die Häuser der Juden verrammelt. Denn die Freude am
auferstandenen Jesus konnte immer wieder in Haß umschlagen.
Der ein Kirchenjahr hindurch aufgestaute Zorn entlud sich nicht selten; es war ein buchstäblich mörderischer Zorn.103 Der Vorgang hat Methode. Noch immer gilt der vorgebliche Verrat an »Jesus«
als schimpflichstes Vergehen. Längst weiteten sich seine Inhalte aus: Was immer Kirchenleute mit »unserem Herrn« in Zusammenhang bringen, kann von ehemaligen Jüngern verraten werden:
Evangelium, Dogmenglaube, Kirchenzugehörigkeit, Priestertum.
Der Haß der Jüngerinnen trifft nicht zufällig gerade jene besonders stark, die einmal zum Vaterhaus gehörten und nicht mehr zurück-kehren wollen. Sie sind, in der Diktion der vermeintlich Treuen, nach neutestamentlich gehässigem Vorbild Judasse, Negativfigu-ren, Unpersonen.104
Nichts änderte sich an der Mentalität der Christenheit, seit die Evangelien den Haß auf einen Verräter ihrer Sache niederschrieben.
Wer die Gruppe der Gläubigen verläßt, ist zur Gewalttat freigegeben. Nun kann die eigene Aggression auf jene anderen projiziert werden, denen Böswilligkeit, Unglaube, Verrat unterschoben sind.
Folter wie Mord an solchen sind gerechtfertigt. Das böswillig er-zählte Gleichnis von den »bösen Winzern« (Lk 20,9-19) spricht aus, was Jünger denken und fühlen: Der Besitzer eines Weinbergs (Gott) vergibt diesen an Pächter (Juden). Von Zeit zu Zeit schickt er seine Gesandten (Propheten), um die Pacht einzuziehen. Doch die Pächter mißhandeln regelmäßig die Boten. Schließlich sendet der Herr seinen einzigen Sohn. Aber der Erbe wird umgebracht. Da
greift der Besitzer zu, tötet die Pächter und vergibt den Weinberg 166
neu (an die »Jesus«-Getreuen).
Das Gleichnis deutet nicht nur einen Bezug auf die Hohenpriester und Schriftgelehrten an, sondern es ist sehr raffiniert auf die Passion
»Jesu« zugeschnitten. Daher kommt es unverblümt zu seinem Ziel, das für das Selbstverständnis von Jüngern konstitutiv ist.105 »Unser Gott« selbst wird sich für den Mord an »unserem Herrn« rächen und die Frevler umbringen. Für sie treten zudem die aus der Geschichte bekannten Straffolgen ein: die Zerstörung des Tempels und der heiligen Stadt Jerusalem.106 Wir aber werden alles erben...
Jerusalem muß fallen, wenn Rom der Nabel der Welt sein soll.107
Der Jerusalem-Komplex Roms ist uralt.108 Und nun ausgerechnet Jesus ein Jude? Und noch immer kein Glaube bei den Juden an
diesen Messias? Christen reagieren mit ungläubigem Staunen und oft auch gereizt auf eine einfache historische Tatsache: Ihr neuer Glaube bleibt ohne seine jüdischen Wurzeln unvollständig.109 Das Judentum ist demgegenüber sehr wohl auch ohne »Jesus« mit sich selbst identisch. Es bedarf noch immer keiner Bekehrung. Dieser Sachverhalt macht Christen ärgerlich und wütend.
Ich fasse zusammen: Schon ein bißchen viel Haß an heiligster
Stelle, mitten im Neuen Testament, mitten in der Erzählung vom Leiden und Sterben »Jesu«. Ziemlich viel Haß bei denen, die sich auf die Liebe berufen und ihren Kritikern bis heute Haß bescheini-gen. Sehr viel historisch faßbarer Haß gegen Gegner, Anlaß genug, vor der eigenen Türe zu kehren.
Das Entsetzen von Golgatha
Bedingungslose Flucht der Getreuen, ein Mensch allein gelassen, verraten und verleugnet, Todesangst, Angstschweiß, Blutstropfen, die zur Erde fallen, langwierige Verhöre, ein Räuber vorgezogen, Schuldspruch, Spott, Geißeln, Dornenkrone, Kreuzigung, qualvoll langsamer Tod, Ruf nach Gott, Finsternis, Katastrophe auf Erden.
Auch heute noch, nach fast zweitausend Jahren, kennen die meisten, auch viele Nichtchristen, die Erzählung über das Leiden und Sterben eines einzelnen
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