Sex und Folter in der Kirche
verhaßten anderen zu beschmutzen. So wird behauptet, nicht nur die Gerichtsdiener, sondern auch die jüdischen Richter hätten nach Art römischer Legionäre »Jesus« ins Gesicht ge-spuckt, ihn mit Fausthieben traktiert und üblen Schabernack mit ihm getrieben (Mt 26,67f.). Solche Lügen sollen den Zorn der
Leserinnen auf den Hohenpriester und sein Kollegium lenken. Den Repräsentanten der Juden wird vom Evangelium auch die Schmä-
hung zugeschrieben, die sie, am Kreuz vorbeiflanierend, ausstie-
ßen: »Steig doch herab, hilf dir selbst!« (Mk 15,29f.). Diese Legende ist mit Perfidie gewählt und in die Erzählung vom Leiden und Sterben »Jesu« einkomponiert: Einen grausam Sterbenden, um
Atem Ringenden, schlimm Gefolterten noch derart zu verhöhnen
muß alle erregen, die davon erfahren, und deren Haßgefühle gegen die Spötter rechtfertigen.
Besonders bösartigen und ungerechten Angriffen ist der Verräter Judas ausgesetzt.94 Auf ihn sammelt sich der kollektiv wirksame Schrecken, ihm gilt besonderer Haß; noch in einer Umfrage des SPIEGEL von 1967 waren einundneunzig Prozent der Befragten, die sonst wenig glaubten, der Meinung, Judas habe Jesus verraten.95 Dieser Glaube beruht auf einem der vielen Passionsmärchen, denn Judas verriet weder seinen Herrn durch einen Kuß,96 noch nahm er irgendein Blutgeld (Mt 27,6), mit dem er einen Blutacker gekauft hätte, noch erhängte er sich.97
Die mythische Reise, die der heilige Brendan, Patron der christlichen Seefahrt, im sechsten Jahrhundert unternommen haben will, weiß von dem Schicksal des Judas zu berichten, um die Jüngerschaft vor den Folgen des Glaubensverrats zu warnen: »Am Montag
werde ich auf ein Rad gekettet und von einem Sturm herumgewir-belt. Am Dienstag werde ich an eine Egge gebunden und mit Steinen beschwert. Sieh nur, wie mein ganzer Körper zerstochen ist! Am Mittwoch taucht man mich in Pech, wovon ich ganz schwarz
geworden bin, wie ihr seht, denn man hat mich aufgespießt und herumgedreht wie ein Stück Braten. Am Donnerstag werde ich in einen Abgrund gestürzt, in dem ich erfriere... Am Freitag werde 164
ich geschunden und gesalzen, und die Dämonen quälen mich mit
flüssigem Kupfer und Blei. Am Samstag wirft man mich in ein
stinkendes Gefängnis, dessen Gestank so entsetzlich ist, daß mein Herz von meinen Lippen fliehen möchte, auch ohne das flüssige Kupfer, das ich zu trinken bekomme. Am Sonntag, dem Tag des
Herrn, bin ich dort, wo ich mich abkühle, aber die Teufel werden mich gleich wieder holen.«98
Auch dieser Folterbericht gründet auf dem Haß der Judasle-
gende.99 Wie kriminell muß das Denken und Fühlen einer Gruppe von Erwählten sein, das sich nicht scheut, einen Menschen gegen besseres Wissen als Verräter und Selbstmörder zu brandmarken?
Eigener Vorteile wegen handfest zu lügen? Den Namen eines anderen um eines angeblich höheren Zweckes willen bis heute zu beschmutzen? Gilt das Wort »Jesu«, der Mensch müsse für jedes
seiner Worte Rechenschaft ablegen (Mt 12,36), nur für alle anderen, nicht aber für die unverantwortlich Redenden des Neuen Testaments?
Aus deren Drohbotschaft zitiere ich eine winzige Judasge-
schichte: »Von seinem Sündenlohn erwarb sich dieser ein Grund-stück, stürzte kopfüber, sein Leib barst mitten auseinander, und alle Eingeweide fielen heraus...« (Apg 1,18). Und den vom Verfasser selbst hergestellten Zusammenhang mit dem Alten Testament:
»Aus dem Gericht gehe er verurteilt hervor, selbst sein Gebet werde zur Sünde... Seine Kinder sollen zu Waisen werden und seine Frau zur Witwe. Unstet sollen seine Kinder umherziehen und betteln, aus den Trümmern ihres Hauses vertrieben. Sein Gläubiger reiße all seinen Besitz an sich, Fremde sollen plündern, was er erwarb.
Niemand sei da, der ihm die Gunst bewahrt, keiner, der sich der Waisenkinder erbarmt!«100
Wem dieser fromme Wunsch nicht genügt, der höre auf Luther:
»... ich muß denken, da Judas Ischariot sich erhenckt hatte, da ihm die Darme zerrissen, und wie den Erhenckten geschieht, die Blase zerborsten, da haben die Juden ihre Diener mit güldenen Kannen und silbernen Schüsseln dabeigehabt, die Judas' Pisse sampt dem anderen Heiligthumb aufgefangen, darnach untereinander die
Scheiße gefressen und gesoffen.. ,«101 Es wird damit noch peinlicher: Mit dem Namen Judas lassen sich schlimme Assoziationen
verknüpfen, und es wäre offenbar zuviel verlangt von Christen, nutzten sie die Chance nicht. Aus dem einen werden daher
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