Sex und Folter in der Kirche
auf diese Weise ist Gott als Täter vereinnahmt; damit steht er selbst vor Gericht.
Die Theologie des Paulus ist vom Kreuz her geprägt. Er, nicht zufällig als schlau gerühmt,132 macht als erster aus der elenden Not der Jünger seine Tugend.133 Er deutet, was ohne Zuhilfenahme
eines ausgeprägten Jünger-Glaubens nicht zu fassen ist. Daher verliert er, abgesehen von der böswillig-folgenträchtigen Beschuldigung aller Juden (l Thess 2,15), kein Wort über die Details einer historischen Kreuzigung. Es kommt ihm darauf an, das Geschehen überirdisch zu deuten. Da seine Botschaft auch heidnische Kreise ansprechen und überzeugen sollte, konnte das Kreuz, ringsum ein Skandal (Gal 5,11; l Ko 1,18.23), nur überhöht dargestellt werden: Hier starb kein Verbrecher, nicht irgendein Jesus aus Galiläa, sondern »unser Jesus« nahm den Fluch der Welt auf sich, wurde am Kreuz zum Heiland der Heiden, zum Mittler des Segens Abrahams (Gal 3,13 f.).
Hier ist »unser Gott« am Werk, und jetzt wie künftig bleibt
»unser Gott« am Werk. Durch das Opfer seines einzigen Sohnes am Kreuz hat er die Welt erlöst, unser Heil sichergestellt. Wer unser Wort annimmt, ist in diese Erlösung einbezogen; anderen bleibt die 173
Sünde. Unser Verhalten den Ungläubigen gegenüber wird entsprechend ausfallen. Die Verehrung der »ganz aus den Fugen geratenen Seelen«134 wird immer wilder. Bald stimmt auch der Verfasser des Evangeliums nach Johannes ein. Das Kreuz soll zum Zeichen der Entscheidung für oder gegen »Jesus« werden, aber gerade dadurch auch zu »unserem« Schauplatz der Erhöhung und Verherrlichung
»Jesu«. Das Evangelium weist »unserem Gott« einen festen Platz in seiner Phantasie zu, nimmt auf historische Gegebenheiten fast noch weniger Rücksicht als Paulus, will allein die Tat Gottes und des Gottessohns an »unserem Heil« verkünden.
Symbolische Sinnzuweisungen haben ihre Tücken: So bekommt
Maria, ansonsten vernachlässigt, neben einem erfundenen Jünger einen theologisch sehr ergiebigen Platz unter dem Kreuz eingeräumt (Jo 19,25-27). Die Einsetzung zur »Mutter aller Menschen«, wie das geltende Kirchenrecht (!) kühn behauptet,135 mag; dem Marienkult der Jünger Auftrieb gegeben haben. Doch schildert das Evangelium den realen Schmerz einer Mutter so erbarmungslos jenseitig, daß die Komposition beispielhaft inhumane Züge trägt: Gegenüber dem alles überdeckenden Jünger-Wunsch werden die
Regungen anderer Menschen unwichtig, und die angebliche Über-
natur erdrückt all unsere Natur. Genau dies ist erwünscht. Der neueste Katechismus Roms erklärt schlicht zur sicheren Lehre, daß Maria sich unter dem Kreuz mit ihrem Sohn »in mütterlichem Geist verband, indem sie der Darbringung des Schlachtopfers, das sie geboren hatte, liebevoll zustimmte«136. Eugen Drewermann läßt nachfragen, wo die Mutter auf Erden ist, die dies als Liebe verstehe.137
Jesus selbst erging es wenig anders. Die Tatsache, daß er, als Jude, nie von religiös begründeter Todessehnsucht gesprochen haben oder von der freiwilligen Übernahme eines Todesleidens begeistert gewesen sein dürfte, gilt dem Jünger-Glauben nichts. Jesus ging mit größter Wahrscheinlichkeit nicht nach Jerusalem, um dort den Martertod zu erleiden, wenn er auch mit der Möglichkeit
rechnen mußte, ergriffen zu werden.138 Für Jünger kein Thema.
Nicht einmal die reale Todesnot »kommt über« in den Passionsgeschichten; sie erscheint mehr oder weniger als Staffage für das Heilshandeln Gottes. Dabei bittet Jesus darum, den grausamen
Vaterwillen nicht erfüllen zu müssen, und ruft am Kreuz laut nach seinem Gott: »Warum nur hast du mich aufgegeben, im Stich
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gelassen?« (Mt 27,46). Dieses durchaus nachzuvollziehende Ver-lassensein ist Lukas suspekt, Johannes kein Wort mehr wert.139
Dieser opfert den Menschen Jesus einer elitären Heilsdoktrin. Er läßt den »Jesus« des Jünger-Glaubens nicht nur gehorsam den
Becher des bitteren Todes trinken (Jo 18,11), sondern auch, von oben herab, ein ebenso willfährig vaterliebes140 wie triumphales Wort sagen: »Es ist vollbracht!« (Jo 19,30).
Albert Camus läßt in der Erzählung La chute (Der Fall) seinen Protagonisten Clamence räsonieren: »Wissen Sie zum Beispiel, warum man ihn gekreuzigt hat?... Er selber wußte, daß er nicht ganz unschuldig war,... er hatte bestimmt von einem gewissen
Mord der unschuldigen Kinder gehört. Die Kinder Judäas, die
hingemetzelt wurden, während seine Eltern ihn in Sicherheit
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