Sex und Folter in der Kirche
Hilfe von verblasen-verschwommenen Interpretationen »auf ein
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abstrakteres, damit inhaltsärmeres und weniger provokantes Niveau« zu heben: eine Methode, die Eindruck macht und verkaufs-fördernd ist.158 Die Vernebelungen machen wenigstens noch ein bißchen christlichen Glauben möglich; schließlich werden sich die Großgaranten des Glaubens etwas dabei gedacht haben! Ihre Im-munisierungsstrategien stellen ja den Fortbestand eines für manche intellektuell gerade noch akzeptablen Restchristentums sicher. Bis auf weiteres.
Ich glaube nicht, daß die Taktik Bestand hat. Denn die Wort-
spiele umgehen regelmäßig eine entscheidende biblische Barriere: Das Neue Testament spricht eben nicht nur vom »Tod Jesu«, als hätte dieser auch einen Greis im Bett ereilen können, damit Gott versöhnt war. Die Jünger-Bibel erzählt, durch verstärkende Details ausgeschmückt, von einer qualvollen Hinrichtung. Nur diese
scheint »unser Gott«, folgt man der Jünger-Theorie, als Sühne für den Ungehorsam der Menschen gefordert und akzeptiert zu haben.
Glattstellungen159 skandalöser biblischer und amtskirchlicher Inhalte versagen daher regelmäßig. Das Dilemma zwischen der intellektuellen Redlichkeit und der Treue zur christlichen Inhumanität kann nicht behoben werden. Die theologieübliche Selektion biblischer und/oder päpstlicher Vorgaben verfängt nicht mehr, und die Lehre vom Jüngsten Gericht und der Hölle bleibt selbst dann, wenn sie bis zur Unkenntlichkeit entschärft wurde,160 eine unmenschliche Doktrin. Eine Frage an jene Schultheologie, die sich auffällig un-schuldbewußt mit allem und jedem befaßt, nur nicht mit dem einzig Wichtigen: Wie wäre es mit ein bißchen Redlichkeit gegenüber den anderen Menschen, mit ein wenig Glauben gegenüber dem eigenen Christentum? Für Christinnen führt doch wohl kein Weg am Zentrum vorbei, auch wenn Theologinnen, inkonsequente Wegweiser, Umweg um Umweg anzeigen: Blut und Blutopfer bleiben zentral
für die christliche Lehre161 — und auch für jede Kritik des Christentums.162
»Unser Gott« hat sich offenbart, gewiß. Wer sich aber offenbart, verrät sich. Daher bleibt das Fazit des Jünger-Triebs auch immer dasselbe: Gott, »unser lieber Gott«, ist der Folter und des Mordes schuldig. Wir machten ihn an seinem Sohn zu unserem Täter. Wir bereuen unsere Tat bis heute nicht, auch wenn wir sie gegenwärtig humaner zu gewichten suchen. Nicht zufällig, daß auf dieser von Grund auf unsauberen Basis auch die vielen Denk- und Blutopfer, die 179
das Christentum in seiner Geschichte und Gegenwart forderte,
als bloße Bagatellen gelten. Eine unsägliche Schande!
Der heilige Rest: Reliquien unters Volk gebracht
Das Material liegt bereit, die Zielrichtung des Glaubens ist vorgege-ben, der Rest ist Verehren. Von Verständnis kann keine Rede sein: Wir können mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß
nur eine Minderheit von Christinnen begründete Ahnungen von
dem hat, was sie als »unseren Gott und seinen Sohn« anbeten soll.
Abgehobene Theologie mag sich mit christologischen und mariologischen Debatten befassen, Gläubige haben andere Interessen. Deren Inhalte fassen Kirchenvertreter, gerade noch nicht ganz abschätzig, unter den Begriff »Volksfrömmigkeit«. Diese beschäftigt sich nicht mit der Jünger-Ideologie, sondern mit dem an Golgotha Greifbaren. Mit Blut, Kreuz, Gebein.
Bitte kein Naserümpfen. Es wäre ein Fehler, die Notwendigkeit von Glaubensbelegen und die Wirksamkeit der volksnahen Zeugnissezu unterschätzen. Sie stabilisieren den Glauben sichtbar. Das Christentum hätte nicht als Weltanschauung überlebt, wäre es auf Dispute beschränkt geblieben. Solange Menschen auf leicht faßliche Beweise angewiesen sind und eine Religion zum Anfassen wünschen, haben Reliquien einen Platz im System. Zutiefst verletzte Psychen brauchen sie vor allem, wenn Reliquien den Ruch des
Blutigen haben. Da die Jünger-Religion »Christentum« an zentraler Stelle von Grausamkeit, Foltertod, Blut geprägt ist, nimmt es nicht wunder, daß auch ihre Außenseite blutig aussieht: Die christlichen Reliquien haben von Anbeginn und mit Abstand vor allen anderen Möglichkeiten direkt oder indirekt mit Blut, Marter, Tod zu tun. Schon der nächste Spaziergang in irgendeine Kirche oder Kapelle beweist dies. Das mehrfach wiedergegebene Kreuz, der
gemarterte und mit fünf Wunden gezeichnete Jesus, die Kreuzweg-stationen, die Pieta, vom Schwert des Schmerzes durchbohrt, die
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