SGK264 - Im Wartesaal der Leichen
wohl in meinem ganzen Leben nicht ändern .«
Ehe sie den Weg freimachte, damit sie eintreten konnten, warf sie
einen raschen Blick auf Su Hang und dann einen zweiten auf Chang Li, als wolle
sie sagen: Hör mal - wie ist das mit ihr da? Willst du sie wirklich dabei
haben, wenn wir uns unterhalten.
Der Kung-Fu-Sportler verstand den Blick seines
Gegenüber . »Su ist in Ordnung. Du kannst ihr voll vertrauen. Alles, was
du mir sagen kannst, trifft auch für sie zu .«
»Dann ist es gut .« Mi Tsu ließ sie beide
ein.
Chang Li und Su Hang kondolierten und folgten der resoluten Mi auf
deren Zimmer.
Ihr Verhalten mußte im Verwandtenkreis größte Befremdung auslösen.
Doch daran
schien sie sich nicht zu stören.
Sie verschloß die Tür hinter sich und kam dann gleich zum
Wesentlichen.
Sie begann mit den Ereignissen der letzten Nacht.
Sie beschrieb den wütenden Toten, der zurückgekehrt war und die
Küche verwüstete. Sie behauptete auch felsenfest, daß Lee Tsu es gewesen sei,
der seinen eigenen Vater vom Dach in die Tiefe stieß und dann verschwand.
»Ich wollte erst loslaufen«, sagte sie mit schwerer Zunge. »Aber
ich stand da wie angewurzelt. Lee verschwand vom Dach und ist untergetaucht,
ohne daß einer der anderen im Haus ihn sah. Nur Vater selbst hat ihm kurz vor
dem Sturz noch ins Auge gesehen und gewußt, wer sein Mörder war...«
Was für eine makabre Geschichte!
Su Hang hörte nur zu. Sie stellte keine Fragen, denn sie wollte
nicht, daß Mi ein falsches Bild von ihr bekam. Doch Chang unterstützte die
junge PSA-Agentin in jeder Hinsicht, indem er Fragen stellte, von denen er
wußte, daß sie auch Su interessierten.
»Es geht um etwas Unheimliches und Unerklärliches«, murmelte Mi
und fuhr sich mit der Hand durch das nasse Haar. Sie war noch nicht mal dazu
gekommen, die Kleider zu wechseln oder ihre Haut abzutrocknen.
»Dingen, die geheimnisvoll und ungeklärt sind, sollte man
grundsätzlich nachgehen«, bemerkte Chang Li.
»Du wirst mich für verrückt halten«, ging Mi Tsu sofort auf die
Erwiderung ein. »Aber als Vater starb und mich darum bat, niemand von der
Familie etwas zu sagen, da hatte ich nur einen Gedanken: Wenigstens ich muß es
genau wissen! Dort wo Lee sich eigentlich aufhalten müßte, in einem Sarg in der
Totenherberge, wird spätestens in einem Tag auch mein Vater sein. Diese
Gelegenheit möchte ich nutzen und mir Gewißheit verschaffen .«
Sie brauchte nichts mehr zu sagen als dies.
Sowohl Chang als auch Su begriffen, was sie damit ausdrücken
wollte.
Mi Tsu hatte die Absicht, das Totenhotel auf der Insel aufzusuchen
und heimlich einen Blick in den Sarg zu werfen, in dem ihr toter Bruder Lee
eigentlich liegen mußte.
*
Der Raum, in den Thai Hong ihm vorausging, war ein Mittelding
zwischen Wohnraum und Labor.
Schwere, dunkelrote Plüschsessel und eine Couch waren sofort
augenfällig und der bestimmende Eindruck dieses Raumes.
Vom Fenster bis zur gegenüberliegenden Wand war eine schmale, mit
einem weißen Tuch bespannte Tischplatte, auf der die Instrumente zur
Tätowierung lagen.
Verschieden dicke Nadeln und verschiedenfarbige Flüssigkeiten in
gläsernen Behältern standen fein säuberlich nebeneinander. Ein Wattespender,
Tücher zum Abtupfen, all das machte einen sehr sauberen Eindruck. X-RAY-3 mußte
sich im stillen eingestehen, daß er dies nicht erwartet hätte.
Um einen goldenen Tisch mit einer Marmorplatte gruppierten sich
kostbare Sessel, die ein kleines Vermögen gekostet hatten.
Dahinter war der Raum abgeteilt mit einem schweren, samtenen
Vorhang, auf dem ein riesiger chinesischer Drache mit goldener Stickerei
aufgebracht war.
Als Larry eintrat, bewegte sich der Vorhang ein wenig.
X-RAY-3 ließ sich nicht anmerken, daß sein Mißtrauen wuchs.
»Bitte, Sir, nehmen Sie Platz .« Mit einer
höflichen Verbeugung deutete Thai Hong auf den Sessel, dessen Rücken gegen den
schweren Vorhang stand.
X-RAY-3 deutete auf den Sessel neben dem schmalen Tisch mit den
Tätowierungsinstrumenten und meinte: »Darf ich mich dahin setzen? Meine Augen,
verstehen Sie, ich habe gewisse Schwierigkeiten mit ihnen. Wenn Sie mir die
Skizzen und Fotos Ihrer Motive zeigen, ist es besser, wenn das Licht von der
Seite auf die Unterlagen fällt...«
»Aber natürlich, Sir. Ganz, wie Sie wünschen«, entgegnete der
Chinese dienstbeflissen.
Larry Brent setzte sich genau der Stelle gegenüber, wo Thai Hong
ihn ursprünglich gebeten hatte, Platz zu nehmen.
Der Chinese nahm aus
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