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SGK264 - Im Wartesaal der Leichen

SGK264 - Im Wartesaal der Leichen

Titel: SGK264 - Im Wartesaal der Leichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larry Brent
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Regen verstärkte sich. Dumpfes Donnergrollen ließen Boden und
Luft erzittern.
    Madam Tsu kam es vor, als säße sie schon seit einer Ewigkeit neben
ihrem schwerverletzten Mann und würde beruhigend auf ihn einreden. Dabei waren
erst wenige Sekunden vergangen. »N'go wird gleich loslaufen und Dr. Len holen.
Du brauchst keine Angst zu haben, Chan, es wird alles gut werden .«
    »Nein es ist zu Ende, man spürt, wenn die Zeit gekommen ist, es
war nicht der Wind«, fügte er plötzlich hinzu, und seine Stimme hatte einen
ganz eigentümlichen Klang.
    Die Chinesin legte die Stirn in Falten. »Was, Chan, ist auf dem
Dach geschehen ?«
    »Ich ... nichts ... es war nichts«, stieß er plötzlich hervor.
Dann schüttelte ein Hustenanfall seinen Körper.
    Madam Tsu hatte plötzlich das Gefühl, daß die Blicke einer anderen
Person auf ihr ruhten, noch ehe jemand überhaupt aus dem Haus getreten war.
    Ruckartig warf sie den Kopf herum, und ein ungläubiger Ausdruck
erschien auf ihrem Gesicht.
    Mitten auf dem Weg, der direkt auf das abseits stehende Haus
zuführte, stand eine völlig durchnäßte Gestalt, auf die der Regen
herabklatschte. Die schwarzen, nassen Haare hingen wirr in ihrer Stirn. Das
Mädchen hielt mit beiden Händen die Lenkstange ihres Fahrrades umklammert, als
müsse sie sich daran festhalten.
    Die Gestalt in der trüben Witterung sah aus wie eine
Gespenstererscheinung, die wie ein Pilz aus dem Boden gewachsen war.
    »Mi !« entfuhr es Madam Tsu.
    N'go und drei weitere Familienangehörige stürzten aus dem Haus,
ohne auf den heftig herabströmenden Regen zu achten, der sie im Nu bis auf die
Haut durchnäßte.
    »Kümmert euch um Chan ... und du, N'go, hole so schnell wie
möglich Dr. Len«, sagte Madam Tsu tonlos.
    Während die anderen den Schwerverletzten vorsichtig packten und
doch nicht verhindern konnten, daß sie ihm weitere Schmerzen zufügten, lief
Madam Tsu wie von einer unsichtbaren Hand nach vorn gedrückt auf ihre wie
erstarrt stehende Tochter zu, die sich noch immer nicht rührte.
    Dann standen sich Mutter und Tochter gegenüber.
    »Was ist los? Warum kommst du nicht zu mir, um zu helfen ?« sagte die Frau vorwurfsvoll.
    Mi Tsus Gesicht wirkte wie aus Marmor gemeißelt. Kein Muskel darin
regte sich. Die Lippen waren halb geöffnet und blutleer wie die Haut ihrer
Wangen.
    Ein riesiger Blitz jagte über den Himmel, tauchte die beiden
Frauen in kalten, flackernden Schein und zeichnete ihre Schatten scharf auf den
aufgeweichten Boden und in die Pfützen, die rings um ihre Füße entstanden
waren.
    »Ich bin gerade nach Hause gekommen, als ich sah, wie er vom Dach
stürzte«, antwortete Mi Tsu endlich. Ihre Stimme klang dunkel, fremd, und ihre
Lippen bewegten sich kaum.
    »Du hast es gesehen? Und du bist deinem Vater nicht sofort zu
Hilfe gekommen ?«
    »Es hätte wohl nichts mehr genutzt«, erwiderte die junge Chinesin
mechanisch. Sie setzte sich wie ein Roboter in Bewegung und hatte Mühe, ihr
Fahrrad über den schlammigen Weg zu bringen.
    Dann begann es in Mi Tsus Gesicht zu zucken. Sie konnte nicht
länger an sich halten. Die Anspannung, der Schrecken und die Erlebnisse der
vergangenen Nacht standen wieder vor ihr und verbanden sich mit dem Grauen, das
sie erst vor wenigen Stunden erlebt hatte, Haltlos rollten die Tränen aus ihren
Augen, liefen über ihre Wangen und mischten sich mit dem Regen, der in ihr
Gesicht klatschte. Sie hatte in diesen Minuten nur einen einzigen furchtbaren
Gedanken:
    Wenn mich nur der Blitz träfe! Wenn ich nur sterben könnte. Jetzt.
Sofort, Dann wäre endlich alles vorbei.
    Während sie zum Haus ging, klebte ihr Blick förmlich am Dachfirst.
    Dort standen vorhin, als sie ankam, zwei Männer. Ihr Vater und ihr
Bruder Lee.
    Doch von Lee war wieder keine Spur zu entdecken.
    Wie ein Geist hatte er sich erneut in Nichts aufgelöst. - Was für
grauenvolle Dinge erlebte sie nur. War sie überhaupt noch normal? Mi Tsu begann
an ihrem Verstand zu zweifeln.
    Sie versuchte, die trüben Gedanken zu vertreiben und den anderen
zu Hilfe zu kommen, die ihre Mühe hatten, den Schwerverletzten ins Haus zu
bringen.
    Da ließ sie einfach ihr Fahrrad fallen, eilte die letzten Schritte
auf den Eingang zu und faßte mechanisch mit an.
    Sie legten Chan Tsu auf die Couch in das kleine Wohnzimmer. Sein
Atem ging schwer und rasselnd. Der Hausherr bestand darauf, daß N'go auf keinen
Fall bei diesem Wetter zu Dr. Len ging.
    »Das hat sowieso keinen Zweck mehr«, ließ er die um ihn
Versammelten

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