SGK330 - Tanzplatz der Verfluchten
viele Namen. Sie
war als Hure verschrien, als Vampirin , als Satans
Braut... und was dergleichen Bezeichnungen mehr sind.
Die Woche vor dem ersten Mai des
Jahres 1784 ging ebenfalls in die Chronik ein. Nacht für Nacht - insgesamt
sieben Nächte hintereinander - verschwanden Jungfrauen aus dem Dorf. In der
letzten Nacht legten einige beherzte Bewohner sich auf die Lauer, um den Beweis
zu erbringen, dass nur die >rote Selma< hinter
den Entführungen stecken konnte.
Die Frauen des Dorfes fassten Mut, das muss ich noch
hinzufügen. Sie trauten ihren Männern nicht, wenn es um die >rote Selma<
ging. Da wurden sie nur schwach, vergaßen ihren Auftrag oder behaupteten
einfach, dass alles nur dummes Gerede sei, um ihr das
Leben schwer zu machen.
Die Frauen aber waren da anderer
Ansicht. Heimlich versteckten sie sich an jenem Ort, von dem man sagte, dass Selma dort des Öfteren mit
dem Leibhaftigen zusammenträfe.
Es war der Felsenkessel, der von den
Einheimischen noch heute >Tanzplatz der Verfluchten« genannt wird. Die
Bezeichnung geht auf Selma zurück, die dort nackt und in schamloser Weise mit
dem Teufel und den von ihr Verführten getanzt haben soll. Wie bei all diesen
Geschichten mischt sich mit Sicherheit auch hier Wahrheit und Legende.
Die auf der Lauer liegenden Frauen
sahen Selma mit ihrem neuen Opfer kommen. Das Mädchen aus dem Dorf folgte ihr
wie in Trance. Offenbar stand es unter Selmas hypnotischer Macht.
Es heißt, dass die Frauen es nicht mehr schafften, das Opfer aus den Händen der Hexe zu
reißen: Dem Mädchen wurde die Kehle durchgeschnitten, ehe die auf der Lauer
Liegenden eingreifen konnten.
Sie unterbrachen das satanische
Ritual, schlugen die »rote Selma< zu Boden, fesselten und knebelten sie und
verbrannten sie auf einem rasch errichteten Scheiterhaufen noch an Ort und
Stelle. In der Walpurgisnacht des Jahres 1784 starb eine Hexe
...
Seit jenen Tagen aber ist der Kessel
zwischen den Felsen verrufen und noch in folgenden Jahrzehnten und
Jahrhunderten, ja, noch in unserer Zeit, meiden die Einheimischen diese Stelle.
Es heißt noch heute, dass es auf dem Tanzplatz der Verfluchten spuke, dass man dort seltsame Geräusche und Stimmen höre,
diejenigen der dort getöteten Mädchen, die Schreie der verbrennenden Selma...
Die Hexen-Selma hat Unglück über viele
Familien, über Höfe und Tiere gebracht, und in den Einheimischen ist die Angst
vor dieser Person noch heute tief verwurzelt...«
Alle diese Feststellungen, die Kunaritschew
gemacht hatte, mündeten in einer Aktion. Er war auf dem Weg, sich den Tanzplatz
der Verfluchten näher anzusehen.
*
Es regnete sich ein. Gegen fünf Uhr
sah es so aus, als wäre es bereits Nacht.
In sämtlichen Räumen und Korridoren
der Anstalt brannten Lichter.
Larry Brent saß über Akten und
studierte die Gespräche und Fotos, die von Kaichen im Lauf der letzten Monate
seit seiner Einlieferung in dieses Haus gemacht worden waren. Es gab viele
Widersprüche und Unsicherheiten.
Mehrere Male hatte Dr. Bergmann den
»Patienten« gerade die Geschichte jener Nacht erzählen lassen, in der Kaichens fünf Begleiter verschwanden.
Keine Darstellung glich der anderen.
Nur in der Beschreibung mancher Szenen gab es eine gewisse Übereinstimmung.
Selbst die Lage, in der Kaichen die rote Ruth Bestner gesehen hatte, war immer
anders geschildert.
Nur eines wurde von ihm immer wieder
erwähnt: Der unaufhörlich herabprasselnde Regen, der sie den Berg hoch begleitet
hatte und der in dieser Stärke und Dauer eigentlich nicht zu erwarten gewesen
war.
Im Kessel zwischen den Felsen war
alles trocken gewesen!
Dieser Widerspruch war ein Rätsel, den
bis zur Stunde niemand klären konnte.
Und das Regenwetter schien in Kaichens Leben bei einer besonderen Situation zumindest
eine außergewöhnliche Rolle zu spielen.
Der heutige Tag, die heutige Situation
erinnerte Larry Brent in frappierender Weise an die Wetterbedingungen jener
Nacht, die Kaichens Psyche, sein Leben verändert
hatte.
Auch heute hatte niemand mit einem
derartigen Wetterumschwung gerechnet, wie er schließlich eingetreten war.
Man nahm es als natürlich hin, und
doch konnte er nicht natürlich sein. Ebensowenig wie jene Nacht im vergangenen
Jahr, einige hundert Kilometer weiter nordöstlich.
Über das kleine Handfunkgerät piepte
Brent den wachhabenden Pfleger vor der Tür Horst Kaichens an und fragte ihn, ob alles in Ordnung wäre.
»Ja, Mister Brent. Ich habe erst vor
fünf Minuten nach ihm gesehen
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