SGK330 - Tanzplatz der Verfluchten
um!< Ich war dermaßen entsetzte, dies aus dem
Mund eines Zehnjährigen zu hören, dass schlagartig
meine alten Befürchtungen wieder aufbrachen.
Ruth stand da wie erstarrt, als ich
die beiden voneinander löste. Sie rannte ohne ein weiteres Wort zu sagen aus
dem Haus. Ich machte Horst bittere Vorwürfe, und er zog sich auf sein Zimmer
zurück... Ich seh ’ noch heute das Bild vor mir, wie
sie beide da draußen im Flur standen...
Dieses Erlebnis erzählte ich meinem
Mann, der sich Horst vornahm. Er forderte ihn auf, sich bei seiner Cousine zu
entschuldigen. Das tat er, wenn auch mit einigem Widerwillen. Nach und nach
verbesserte sich das Verhältnis wieder. Kinder schlagen und vertragen sich.
Mein Mann kam auf die Idee, mit den beiden einen Ausflug zu machen, um das
gestörte Verhältnis wieder völlig in Ordnung zu bringen. Er fuhr mit dem Zug in
die Rhön und wollte dort mit Horst und Ruth eine zweitägige Wanderung machen.
Sie waren ausgerüstet mit Proviant, jeder hatte seinen Rucksack, und
übernachten wollten sie ganz zünftig auf einem Bauernhof .«
Morna war förmlich elektrisiert, als
diese Worte über Anna Kaichens Lippen kamen.
Da kam mehr heraus, als sie erwartet
und erhofft hatte.
Es gab zu dem Ausflug vor einem Jahr
eine Parallele in Horst Kaichens Leben!
War es bedeutungsvoll - oder reiner
Zufall?
»Sie kamen damals bei ihrer Wanderung
auch in jenen Kessel zwischen den Felsen, der nun im Leben meines Sohnes eine
so bedeutende Rolle eingenommen hat«, redete Anna Kaichen leise weiter. Ihr
Blick war auf einen imaginären Punkt gerichtet, als würde sie ihre Umgebung und
erst recht ihre Besucherin gar nicht mehr richtig wahrnehmen. »Damals redete er
begeistert von dieser Stelle, an der er sich geborgen und wohl fühlte, ringsum
von riesigen Felsen umgeben, die ihn schützten - so ähnlich redete er
seinerzeit. Der Absicht meines Mannes, durch den Ausflug die Kinder wieder
einander näherzubringen, war nur ein teilweiser Erfolg beschieden. Ruth wirkte
seit jenem Vorfall scheuer und zurückgezogener, schien vor Horst eine gewisse
Furcht zu empfinden. Ich gewann den Eindruck, dass seit der Rückkehr von dem Ausflug damals mit meinem Mann zwischen Horst und
seiner Cousine die Kluft eher tiefer geworden war. Im Lauf der nächsten Jahre
aber näherten sie sich wieder einander, die Geschichte aus der Kindheit schien
endgültig vergessen zu sein...«
Eine derart bereitwillige und
umfassende Berichterstattung hatte Morna Ulbrandson nicht erwartet. Sie
vermutete, dass die frische Angst durch das
Auftauchen jener rätselhaften Spukerscheinung in der Wohnung Anna Kaichens Zunge gelöst hatte.
Sie hoffte auf Rat und Hilfe.
Die Ausführungen der Frau warfen aber gleichzeitig
neue Fragen auf.
»Wessen Idee war es, die Radtour zu
unternehmen ?« wollte Morna wissen, in dem sie auf die
Ereignisse vom letzten Jahr anspielte.
»Horst hat die Route ausgesucht .«
X-GIRL-C fühlte , wie die Unruhe in ihr wuchs. Es zeigten sich plötzlich Dinge, die die ganze
Zeit über verschüttet waren. »Sie hatten kurz vor meiner Ankunft ein
gespenstisches Erlebnis. Wo genau sahen Sie den dunklen Schatten ?«
Anna Kaichen ging mit Morna auf den
langen Korridor. »Dort...«, mit diesen Worten deutete die Frau auf die
Schmalseite der Wand neben der Wohnungstür. »Von dort her kam er auf mich zu .«
Morna Ulbrandsons Sinne waren aufs
äußerste gespannt.
Die PSA-Agentin ging im Flur auf und
ab. Mit aufmerksamen Blicken betrachtete sie die Wände, und kam nach hinten zu
dem halb von dem geflickten Vorhang verdeckten Regal.
»Woher kam Ihr Sohn, wenn er mal
wieder »Verstecken« gespielt hatte ?«
»Immer aus dem Flur.«
»Das bedeutet, dass er auch außerhalb der Wohnung gewesen sein kann ?« sinnierte Morna halblaut.
»Nein, ausgeschlossen! Die Tür hatte
ich stets in Verwahrung. Horst hat die Wohnung nie verlassen .«
»Eine merkwürdige Sache ist das mit
dem Versteck ...«
»Das sag’ ich Ihnen ja...«
Morna Ulbrandson hatte ihre eigenen
Gedankengänge. In Horst Kaichens Kindheit musste es ein entscheidendes Erlebnis gegeben haben. Der
Besuch jener schwarzen Gestalt schien der Beginn einer Entwicklung gewesen zu
sein, die an diesem Tag mit der Ermordung einer jungen Anhalterin einen
vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte.
Geheimnisvolle Kräfte waren am Wirken.
Kräfte des Bösen. Hatten sie aus Kaichen eine Marionette gemacht? War Hexerei
im Spiel?
Das Versteckspiel... der Besuch der
schwarzen Gestalt... die
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