SGK330 - Tanzplatz der Verfluchten
sie in der
kleinen Wohnstube bei einem Gläschen und unterhielten sich.
Allzu lange wollte Gessler seinen unerwarteten Gast nicht aufhalten. Kaichen sah müde aus, man sah ihm die
Strapazen und den Arger an.
Peter Gessler zeigte Kaichen das Zimmer. Es handelte sich um ein ehemaliges Gästezimmer in
der ersten Etage des Hauses. Da war das Bett noch vorbereitet.
»Meine Frau hält immer ein oder zwei
Zimmer in Ordnung«, erklärte er. »Unerwartete Gäste treffen in dieser
Abgeschiedenheit doch hin und wieder mal ein .« Gessler zeigte dem Besucher alles, was er wissen musste , und ging dann nach unten.
Der alte Schäferhund kam langsam aus
der Ecke hervor, in der er sich nach der Ankunft des Gastes verkrochen hatte.
» Harras «,
murmelte Gessler , »du wirst tatsächlich langsam alt
und misstrauisch . Wahrscheinlich gehört beides
zusammen. Du knurrst die ganze Zeit über schon, dabei ist gar kein Grund
vorhanden .«
Er kraulte das Tier hinter den Ohren
und dachte darüber nach, dass Harras das letzte Mal vor einem Jahr ein solch eigenartiges Verhalten gezeigt hatte.
In jener Nacht, als er der Hexen-Selma begegnete...
Aber da hatte es einen Grund gegeben.
*
Er kehrte ins Wohnzimmer zurück,
zündete sich noch mal die erloschene Zigarre an und trank genüsslich seinen Wein.
Dabei blätterte er in einer Zeitung
und nahm dann aus einer Schachtel, die er vor ein paar Tagen nach der Abreise
seiner Frau vom Speicher geholt hatte, einen Stoß vergilbter Papiere und Fotos,
die er zu sortieren begann.
Darunter waren Briefe und Fotos aus
einer Zeit, als er noch nicht geboren war.
Viele Texte befassten sich mit dem Leben der Hexen-Selma, denn sie und der Gessler -Hof
standen in enger Beziehung zueinander.
Vor rund zweihundert Jahren lebte sie
hier auf dem Hof. Die jungen Burschen waren ihr verfallen wie einem süßen Gift.
Selma liebte diesen Hof sehr, und es gab Hinweise dafür, dass sie dem damaligen Bauern den Kopf verdreht hatte und dass dieser drauf und dran war, sich von seiner Frau zu trennen, seine Kinder zu
enterben und alles Selma zu überschreiben. Ehe es soweit war, kam es zu jenem
Ereignis, das in die Dorfchronik eingehen sollte.
Selma wurde gejagt und verbrannt.
Doch ihr Fluch hatte die Jahrhunderte
überdauert, wie es den Anschein hatte.
In der zurückliegenden Zeit hatte es
immer wieder Hinweise darauf gegeben, dass die »rote
Selma« bei Nacht und Nebel angeblich von diesem oder jenem Dorfbewohner gesehen
worden sein sollte.
Die einen glaubten es, die anderen
nicht...
Durch sein eigenes Erlebnis gehörte er
zu jenen, die diese seltsamen Geschichten glaubten.
Er konnte die Nacht dieser Begegnung
nicht vergessen. Und auch das nicht, was Selma ihm höchstpersönlich angedroht
hatte: ihn zu töten.
Noch vierundzwanzig Stunden hatte er
zu leben.
Er wusste , dass es sinnlos gewesen wäre zu fliehen. Egal an welchem
Ort der Welt er sich auch auf gehalten hätte - Hexen-Selma war imstande, ihn
überall zu finden. Die Macht der Hölle, der sie sich mit ihrem Blut
verschrieben hatte, versetzte sie in Zeit und Raum. Sie konnte am entferntesten
Punkt der Erde auftauchen, und sie konnte diejenigen, die sie zu sich holen
wollte, in eine Zeit bringen, aus der sie nie wieder herauskamen.
In den vergilbten, handgeschriebenen
Blättern, die von Menschen vor langer Zeit verfasst wurden, stand dies alles zu lesen. Es hörte sich seltsam und phantastisch an,
aber keiner, der sich ernsthaft mit dem außergewöhnlichen Leben dieser Frau befasst hatte, die eine wahre Messalina gewesen war, wusste , dass dies die reine
Wahrheit war.
Es gab einige ältere Personen im Ort
und auch in den Nachbardörfern, die sich mit dem Leben dieser Person befassten , die das personifizierte Böse gewesen zu sein
schien.
Die Jungen lachten über das, was die
Alten da an Material und Legenden zusammentrugen.
Peter Gessler aber war bei der Lektüre der Briefe und Manuskriptblätter, die nie in eine
Druckerei gekommen waren, nicht zum Lachen zumute.
Die Kraft der Hexe schien nach der
Ermordung von sieben jungen Frauen noch zugenommen zu haben. Für all das Böse,
das sie personifizierte, hatte sie mit Blut bezahlen müssen.
Es war ungeheuerlich, zu welchen
Dingen sie fähig war, wenn man den Berichten jener Glauben schenken konnte, die
sie noch persönlich kannten, die versuchten, sie zu überlisten, sie zu
besiegen.
Und dies war der Hauptgrund, weshalb
er die alten Texte heraussuchte, weil er hoffte, doch noch einen Weg
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