Shadow Guard: Die dunkelste Nacht (German Edition)
ging.
»
Nein.
« Mit sichtlicher Anstrengung erhob sie sich aus dem Stuhl, eine klassische Schönheit in kupferfarbenem Satin. Eine runde, glitzernde Träne hing zwischen den unteren Wimpern eines Auges. Gleichzeitig wurde ihre Miene grimmig. Sie drehte sich zu den anderen um und sprach die Ahnen direkt an. »Ich könnte das nicht tun. Ich habe diese Frau nicht getötet – und ganz gewiss habe ich den Rabenkrieger nicht getötet.«
Die Träne rollte über ihre Wange.
Archer verschränkte die Arme vor der Brust. »Bei allem Respekt, Rabenmeister, es gibt keine hinreichenden Beweise, um sie für die Ermordung Flynns zu verurteilen. Weder sie noch ihr Rabe, Shrew, waren vor Selenes Verschwinden mit ihr im Turmzimmer. Keiner von uns kann sagen, was hinter diesen Türen geschehen ist, nicht ohne weitere Untersuchungen. Wir schreiben ungewöhnliche Zeiten. Bedenken Sie nur all die Hinweise und Umstände, die damit verbunden sind: Whitechapel, die Ermordung einer Prostituierten mit einem Messer. Unerklärliche paranormale Aktivitäten. Wir müssen Tantalos’ Beteiligung an alldem annehmen. Es bleibt nur abzuwarten, in welchem Ausmaß.«
Die Königin nickte weise und schürzte dabei die Lippen unter dem dunklen Streifen ihrer Augenbinde.
»Das sind wir ihr schuldig. Eine volle Untersuchung«, stimmte sie zu.
Lady Black fügte hinzu: »Und wie sie alle besser wissen als ich, erfordert die Erschaffung eines Vollstreckers Jahrhunderte der Übung. Kandidaten sind rar. Die Gräfin könnte nicht leicht ersetzt werden.«
Rourke wappnete sich gegen das vereinte Sperrfeuer ihrer Argumente. Selene senkte den Kopf und schloss die Augen, wie zum Dank an sie dafür, dass sie sich für sie verwendeten. Das dunkle, dichte Haar schimmerte auf ihren Schultern, ein liebreizender Gegensatz zu ihrer strahlenden Haut. Rourke riss den Blick von ihr los und hasste sich selbst für das Begehren, das er einer Frau gegenüber empfand, die durchaus einen seiner Männer getötet haben konnte.
Archer sprach weiter: »Bis Tantalos aufgehalten wird, wird es mehr transzendierte Seelen geben und mehr mächtige
Brotoi
, die schnell vollstreckt werden müssen.« Er näherte sich dem Feuer. »Wenn bewiesen werden kann, dass sie an diesem Vergehen unschuldig ist, und wenn sie ihre Kräfte bewahrt, brauchen wir sie, geradeso wie wir alle Vollstrecker brauchen, um London und das Innere Reich auf die notwendige Weise zu verteidigen.«
Selene taumelte und griff nach der Armlehne des Rollstuhls. Lady Black trat an ihre Seite, stützte sie mit einer Hand unterm Ellbogen und nötigte sie, sich hinzusetzen.
Dann war der Raum erfüllt von dem Geräusch unverständlichen Gemurmels, währen die Ahnen die Angelegenheit untereinander besprachen.
Schließlich verkündeten sie: »Wir stimmen der Einschätzung zu. Wir werden mit unserem Urteil warten, bis eine vollständige Untersuchung vorgenommen wurde, und dann werden wir wieder zusammenkommen.«
Die Gräfin stieß den Atem aus, und ihre hoheitsvollen Schultern sackten mit sichtlicher Erleichterung gegen die Rückenlehne des Rollstuhls.
Der Rat setzte sein Edikt fort. »Die Gräfin wird vorsichtshalber bewacht, bis sie entweder von all diesen Verbrechen freigesprochen wurde – oder verurteilt.«
Archer nickte. Elena drückte beruhigend Selenes Schulter.
»Wohin wird man mich bringen?«, flüsterte Selene.
»Ich fürchte, sie kann nicht länger hierbleiben«, verkündete Lord Black.
»
Archer
«, flehte Elena, deren Wangen sich röteten.
Er schüttelte resolut den Kopf. »Ich werde es nicht erlauben.«
Verblüfft über diesen Wortwechsel suchte Selene Elenas Blick, aber Elena blieb auf ihren Ehemann konzentriert.
»Wir haben … Neuigkeiten«, kündigte er an. »Lady Black ist guter Hoffnung.«
Selenes Herz tat bei dieser Enthüllung einen freudigen Satz – der von einem Stich begleitet wurde. Ihre Gefühle zu dem Thema waren verworren. Kompliziert. Sie hatte Archer einst geliebt, und jetzt würden er und Elena, ihre liebste Freundin, gemeinsam das Glück eines Kindes erleben.
Die Königin klatschte in die Hände. »Entzückend.«
Das Licht der Ahnen leuchtete violett auf. »Das Innere Reich wird diese Neuigkeiten feiern. Eine bevorstehende Geburt! Wir sind über alle Maßen erfreut.«
Elena kniete sich neben sie und ergriff Selenes Hände. »Selene …«
»Ich bin sehr glücklich für euch«, sagte Selene und fragte sich, ob es möglich war, gleichzeitig zu lügen und die Wahrheit zu
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