Shadow Guard: Die dunkelste Nacht (German Edition)
Angesichts der Ungeheuerlichkeit der Beweise gegen sie konnte sie mehr nicht verlangen.
Schließlich trat sie die Decken weg, schwang ihre immer noch in Stiefeln steckenden Füße auf den eisigen Steinboden und stand von dem warmen Sofa auf. Am Fenster, in dem fahlen, bläulichen Licht, untersuchte sie ihre verletzte Hand und sah kein Anzeichen mehr für Mrs Hazelgreaves’ Biss. Sie verspürte nicht einmal einen Anflug von Empfindlichkeit. Noch erstaunlicher war, dass mit einer Berührung ihrer Fingerspitze der Faden, mit dem ihre Wunde genäht worden war, wegrutschte – eine Tatsache, die sie immens erfreute.
Sie schloss die Augen und versuchte, eine Verwandlung zu erzwingen – versuchte, ihren Körper in seine Schattengestalt zu zwingen –, aber in ihren Gliedern und ihrem Blut war nicht das leiseste Brennen oder Kribbeln zu spüren. Obwohl sie damit gerechnet hatte, brannte die Enttäuschung tief in ihrer Brust.
Mit einem knurrigen Seufzer öffnete sie ihren Koffer. Im Innern fand sie einen sorgfältig gefalteten Stapel Kleider und Schals und Unterwäsche, getrennt durch Seidenpapier, und eine Notiz von Elena, in der sie ihr versicherte, dass dies alles sehr bald vorüber sein würde, und darum bat, durch Avenage über jedwede Veränderungen ihres körperlichen Zustands oder ihrer Fähigkeiten auf dem Laufenden gehalten zu werden.
Gleich abseits der großen Halle fand sie einen kleines Kabinett mit einem schweren Vorhang als Tür. Begleitet von einer der mutigeren Katzen, schaffte sie ihren Koffer, ihre Kleidung und einen der Wasserkrüge in den winzigen Raum und tauchte kurz darauf frisch gereinigt, angekleidet und parfümiert wieder auf. Nachdem sie ihre Sachen verstaut, die Decken gefaltet und Rourkes Mantel sorgfältig über die Rückenlehne eines Stuhls drapiert hatte, legte sie sich einen Wollschal um die Schultern und machte sich auf die Suche nach etwas Essbarem zum Frühstück. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal etwas gegessen hatte, und war plötzlich vollkommen ausgehungert – wenn auch nicht nach Büchern, von denen sie immer noch jede Menge in ihrem Koffer hatte, falls sie jemals ein Kapitel zum Frühstück essen wollte.
Sie fand Tres und Shrew in der Küche, einem höhlenartigen Raum, der ein wenig neuer als der Rest der Burg zu sein schien, ein späterer Anbau aus einer jüngeren Epoche der Geschichte. Die Brüder standen zu beiden Seiten eines bäuerlichen, hölzernen Küchentischs, ihre Hemden klebten feucht an ihren muskulösen Körpern, und ihr Haar war nass und zerzaust. In der Mitte des Tischs stand ein Metalltopf. Hinter ihnen brannte ein Feuer in dem etwas erhöht stehenden Ziegelsteinherd. In der Mitte einer Wand befand sich eine offene Tür, die Regale enthüllte, auf denen einige staubige Töpfe, irdene Krüge und Flaschen standen. Sie bemerkte sogar einige Kristallgläser.
Shrew säbelte an irgendetwas – sie wollte ihren Augen nicht trauen – mit einem amaranthinischen Kurzschwert herum, während Tres mit seinem etwas hackte.
»Guten Morgen«, sagte sie.
Tres tat ziemlich offensichtlich so, als höre er sie nicht.
Hack.
Shrew funkelte seinen Bruder an, bevor er ihr ein angespanntes Lächeln schenkte.
»Guten Morgen«, antwortete er. »Wir werden das Frühstück in Kürze zubereitet haben.«
Wieder verspürte sie einen Bärenhunger. Sie war so ausgehungert, dass sie sogar bereit war, beim Kochen zu helfen, eine Aktivität, die sie verabscheute. »Hätten Sie gern ein wenig Hilfe? Ich kann nicht besonders gut kochen, aber bin sehr gut darin, Dinge klein zu hacken.«
»Was der Grund ist, warum wir alle hier sind, nicht wahr?«, murrte Tres.
»Das musste ja kommen«, erwiderte Selene mit einem kläglichen Lächeln. »Ich bin wohl noch nicht daran gewöhnt, für zwei Morde die Schuld zugewiesen zu bekommen, von denen ich mir nicht sicher bin, ob ich sie begangen habe.«
Tres runzelte die Stirn. »Obwohl ich mehr als glücklich wäre, meine Pflichten an Euch abzutreten, haben wir Anweisung, dass es Euch nicht erlaubt ist, irgendwelche Waffen zu benutzen, bis wir Weiteres hören. Also, setzt Euch auf den Hocker dort drüben. Oder besser noch, nehmt den Besen an der Tür und fegt.«
War ihm nicht bewusst, dass ein Besen mit nur wenigen schnellen Veränderungen eine prächtige Waffe abgeben würde? Selene hielt den Mund.
»Weniger reden, mehr hacken, Bruder«, befahl Shrew.
Tres kicherte sarkastisch. »Leicht gesagt, aber nicht so leicht
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