Shadow Guard: Die dunkelste Nacht (German Edition)
fast dachte sie, sie würde schreien müssen. Ganz sanft strichen seine Finger über die Mitte ihres Rückens.
»Haben Sie Schmerzen?«, erkundigte er sich.
»Warum fragen Sie?«, flüsterte sie.
»Sie haben gekeucht.«
»Seien Sie nicht dumm«, gab sie zurück. »Ich bin nicht die Art Frau, die keucht.«
»Und?«
»Und was?«
»Haben Sie
Schmerzen
?«
»Ich … nun …«
Seine Hände glitten in ihr klaffendes Mieder, um sich fest auf ihren im Korsett steckenden Leib zu pressen. Selbst durch die steife Schicht aus Seide und beinernen Stäben spürte sie den Abdruck seiner Hand wie ein sengendes Brandeisen.
Selene kniff die Augen zusammen und stemmte die Hände gegen die Matratze. »Vielleicht ein wenig.«
Es war
wahr
. Ihm so nah zu sein … seine Hände auf sich zu spüren, war pure, bösartige Folter. Nein … Wonne.
Wonne-Folter.
Er sagte: »Vielleicht haben Sie sich bei dem Sturz eine Rippe gebrochen, und wegen der Enge ihrer Unterkleider haben Sie es einfach noch nicht bemerkt …«
Verfluchte Hände, die ihre Leidenschaft auflodern ließen. Sie strichen über ihren Brustkorb, direkt unterhalb ihres Busens.
Sie atmete scharf ein.
»Das, meine Dame, war ein
Keuchen
.«
»Es sind nicht meine Rippen.«
»Was ist es dann?«, fragte er schroff.
Sie ergriff seine gespreizten, langfingrigen Hände und hielt ihre Bewegung auf, dann schaute sie auf das Muster auf der Tagesdecke hinunter, das sich vor ihren Augen drehte.
»Wenn ich Ihnen das erklären muss, mein lieber Lord Avenage, dann haben Sie viel zu lange auf Ihrem Rabenausguck im Tower von London gehockt.«
Er zog die Hände weg. Sie schloss die Augen, zutiefst enttäuscht.
»Wie auch immer, ich bin mir sicher, dass meine Reaktion ganz und gar nicht das ist, was Sie beabsichtigt haben. Es ist klar, dass Sie unseren Kuss bereuen und dass er die Lage zwischen uns peinlich gemacht hat, also betrachten Sie ihn als vergessen. Aus dem Gedächtnis gelöscht, als sei es nie dazu gekommen. Ich sehe keinen Grund, warum wir nicht fortfahren und weiterhin freundlich zueinander sein können.«
Schweigen.
»Diese letzte paar Tage waren angenehm, nicht wahr?«
Er antwortete immer noch nicht, aber sie wusste, dass er unmittelbar hinter ihr verharrte. Sie spürte seine Nähe überall an ihrem Rücken, obwohl sie einander nicht mehr berührten.
Plötzlich presste sich eine Hand auf ihre Schulter und eine andere auf ihre Hüften. Er warf sie auf den Rücken, flach auf die Matratze. Sie keuchte auf, als stechender Schmerz durch ihren Knöchel schoss, vergaß aber ihre verwünschte Verletzung, als sich Rourke über sie beugte und ihr in die Augen schaute.
»Es kann für Sie nicht angenehm sein. Angenehm führt immer zu dem hier.«
Sie konnte nicht erkennen, ob das Glühen in seinen Augen Lust oder Hass bedeutete – vielleicht beides.
»Was ist so falsch an
dem hier
?«
,
flüsterte sie.
»Alles.«
Er stieß sich ab, richtete sich auf und wich zur Tür zurück.
»Was bedeutet das?«, rief sie ihm nach.
»Verdammt, es bedeutet, dass Sie schlafen sollen.«
Stunden später lag Rourke auf seinem Bett und starrte zu den Dachsparren empor. Draußen fuhr der Wind wütend und stöhnend durchs Gebälk und ließ alles in der Burg knarren und klappern. Er schaute in die Richtung, in der Selenes Zimmer lag. Das obere Stockwerk war früher einmal ein einziger großer, offener Raum gewesen. Kleinere, privatere Schlafzimmer waren eine relativ junge Idee in der Geschichte. Er hatte die Trennwand vor einem Jahrhundert einbauen lassen – beim letzten Mal, als er erwogen hatte, den Besitz zu veräußern. Sie reichte nicht ganz bis zur Decke, es blieb ein offener Spalt an den Dachsparren. Ein Spalt, durch den er, wie er hätte schwören können, den Geruch von Lotusblumen riechen konnte.
Erschöpfung machte ihn reizbar. Zur Hölle, wie lange noch würde er hierbleiben und dies erdulden müssen? Wenn sie nicht so nah wäre, könnte er sie vergessen.
Nicht dass er zuvor dazu in der Lage gewesen wäre. Nach jenem ersten Mal, als er sie auf dem Schlachtfeld erblickt hatte, war sie immer die Frau seiner Tagträume gewesen. Diejenige, deren Gesicht er sich vorstellte, wenn er andere liebte.
Aber seine
Träume
… Seine Träume waren immer von einer sächsischen Schönheit mit blondem Haar besessen gewesen – dem eifersüchtigen, besitzergreifenden Geist seiner Vergangenheit. Dem, der noch immer seine ungeteilte und standhafte Treue verlangte.
Als man Selene in den Tower
Weitere Kostenlose Bücher