Shadow Guard: So still die Nacht (German Edition)
Katastrophe gekommen ist. In Pennsylvania, um genauer zu sein. Es hat mit einem Sturzregen und Überflutungen begonnen, die binnen Tagen zu dem folgenschweren Bruch eines Staudamms geführt haben.«
Mark nickte, den Blick zu Boden gerichtet. »Sprechen Sie weiter.«
»Die Flut hat ganze Dörfer mit sich gerissen. Sogar eine Stadt. Tausende sind verloren – Männer, Frauen und Kinder.«
»Tragische Neuigkeiten.« Mark nickte ernst. »Was hat das mit mir zu tun?«
Naturkatastrophen geschahen von Zeit zu Zeit. Als Unsterbliche hatten sie im Laufe der Jahrhunderte ungezählte dieser Katastrophen beobachtet und aus der notwendigen Distanz das Elend miterlebt, das darauf folgte. Es gab nichts, was er oder irgendein anderer Amaranthiner tun konnten, um dergleichen zu verhindern.
Leesons Blick sprach Bände. »Ich dachte nur, Sie sollten auf dem Laufenden gehalten werden.«
Mark saß stumm und steif auf dem Rand seines Betts und wollte sich nicht eingestehen, dass seine Gedanken die gleiche, gefährliche Richtung eingeschlagen hatten. Er erhob sich, und seine gürtellose Hose glitt ihm über die Hüften. Er knurrte: »Wo ist der Rest meiner Kleider?«
»In die Reinigung gegeben, Sir. Im Schrank finden Sie saubere Kleidungsstücke.«
Mark ließ die Hose fallen, in der er geschlafen hatte. Nur mit seiner Unterwäsche bekleidet, öffnete er den Schrank. Leeson war sofort zur Stelle, hob die Hose vom Boden auf und zog sich dann wieder ans andere Ende des Raums zurück, wo er sich am Schreibtisch beschäftigte, offensichtlich, um Marks Privatsphäre zu respektieren. Mark schüttete Wasser in das Waschbecken, und binnen eines Augenblicks streifte er ein sauberes Paar Leinenhosen über.
Leeson hakte leise nach: »Jetzt, da Jack the Ripper fort ist … besteht keine Gefahr mehr, oder? Der tantalytische Botschafter ist zum Schweigen gebracht worden. Ich bin mir sicher, es ist nur ein … abscheulicher Zufall, dass Sie zur gleichen Zeit, als in Amerika dieser Damm brach, einen Ihrer Anfälle erlitten haben.«
»Mina, ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass wir unterwegs einige Besorgungen machen«, sagte Lucinda und schaute aus dem Fenster.
»Ganz und gar nicht«, antwortete Mina.
Die Kutsche fuhr durch die Bond Street. Elegante Läden mit blitzblanken Schaufenstern lockten mit ihren Auslagen. Am Straßenrand drängten sich Kutschen, auf den Bürgersteigen flanierten prächtig ausgestattete Damen, gefolgt von ihren Dienern. Mina kam sich hier in ihrer schlichten, dunklen Kleidung ein wenig unscheinbar vor.
»Zuerst muss ich in den Schreibwarenladen.« Lucinda rückte den Saum ihres Handschuhs zurecht und wandte sich an Minas Cousinen. »Evangeline und Astrid, Miss Gerards Laden ist nur zwei Häuser weiter, also könnt ihr derweil dorthin gehen und euch nach euren Reitkleidern erkundigen. Sie sollten inzwischen fertig sein.«
Lächelnd richtete sie das Wort an Mina: »Für ihre Aussteuer und ihre Couture reisen junge Damen nach Paris, aber die feinsten Reitkleider sind in London zu finden. Lassen Sie sich niemals von irgendjemandem etwas anderes einreden.«
Mina nickte. Sie besaß kein Reitkleid oder irgendetwas, das man auch nur annähernd als Couture bezeichnen konnte. Was ihre Aussteuer betraf, glaubte sie nicht, dass sie in naher Zukunft eine benötigen würde.
»Wir sind da«, verkündete Lucinda.
Die Kutsche hielt vor einer Reihe sehr eleganter Läden. Der Diener öffnete die Tür, und die Mädchen stiegen aus. Mina folgte ihnen, und zuletzt kam Lucinda.
Als alle auf dem Gehsteig standen, fragte Lucinda: »Mina, warum begleiten Sie mich nicht? Sie hatten doch noch keine Gelegenheit, Briefpapier für Ihre Danksagungen zu kaufen.«
Mina stimmte zu.
Lucinda scheuchte die Schwestern weg. »Mädchen, wir kommen nach, sobald wir fertig sind. Fragt auch, ob die neuen Gürtel aus Paris eingetroffen sind.«
Astrid und Evangeline schlenderten geruhsam etwa zwei Häuser weiter. Lucinda sah ihnen nach, bis sie im Laden verschwanden. »Ich überzeuge mich immer gern davon, dass sie dort ankommen, wo sie hingehen sollen. Astrid hat manchmal ihre eigenen Vorstellungen.«
Gemeinsam wandten sie sich dem Schreibwarenladen zu. Davor wartete zu Minas Überraschung ein Mann, der eine große Kodak in Händen hielt. Lucinda zögerte, drehte dann den Kopf zur Seite und senkte ihn leicht, als wollte sie das Profil ihres Strohhuts vorzeigen, auf dem eine kunstvolle Krone aus künstlichen Blumen prangte. Sie lächelte
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