Shadow Guard: So still die Nacht (German Edition)
Als er sich weiter in den Raum hineinbewegte, stieß er direkt gegen Selenes Schatten. Da er den scharfen Ton ihres Zorns wahrnahm, bezog er am gegenüberliegenden Ende des Raums Position.
»Danke für Ihr Kommen, meine Herren«, sagte Dr. Kempster, ein distinguiert aussehender Arzt mit Schnurrbart. »Ich nehme an, wir sollten mit unserem schrecklichen Geschäft beginnen.«
Er bewegte sich in das Zentrum des Raums, wo eine Reihe flacher Metallwannen auf einem langen Tisch platziert waren.
»Wappnen Sie sich«, warnte er. »Wir haben die Körperteile in Alkohol eingelegt, um ihre Verwesung zu verlangsamen.«
Der Raum duftete ohnehin nicht allzu angenehm, aber beide Detectives förderten Taschentücher zutage, mit denen sie sich Mund und Nase zuhielten. Als alle bereit waren, hob der Pathologe den Deckel von dem ersten Behälter. Der ätzende Geruch von Alkohol, vermengt mit Verwesungsgeruch, durchflutete den Raum.
Detective Tunbridge hustete.
Dr. Kempster schien das nicht im Mindesten zu berühren. Mark wusste, dass es nicht das erste Mal war, dass er ein solch grässliches Werk vor sich hatte. »Kommen Sie näher, damit Sie etwas sehen können.«
Die beiden Inspektoren rückten näher heran und blickten in die trübe Flüssigkeit. Mark war bereits da. Seine Schwester wetteiferte mit ihm um den besten Platz. Weil er jedoch daran dachte, dass der Themse-Mörder – der Mörder, von dem er wusste, dass es die Dunkle Braut war – Selenes Auftrag war, räumte er ihr seinen Platz und zog sich wieder auf die andere Seite des Tischs zurück.
»Was ist das?«, fragte einer der Polizisten.
Der Doktor zeigte mit dem Finger darauf. »Der Oberschenkel, der in Battersea entdeckt wurde. Dies ist der obere Teil und dies der untere. Sehen Sie hier? Das sind vier Hämatome, die anscheinend von Fingern stammen, die in die Haut gekrallt wurden. Ich glaube, dies ist geschehen, als das Opfer noch am Leben war.«
Der Doktor zeigte den Kriminalbeamten die anderen entdeckten Körperteile, öffnete und schloss jeden Deckel, während sie sich am Tisch entlangbewegten. Ein Rumpf … ein Teil eines rechten Beins mit anhängendem Fuß … und schließlich ein linkes Bein.
»Es gibt keinen Kopf?«
»Nein.«
»Genau wie der Torso, den New Scotland Yard letztes Jahr,1887 , am Embankment gefunden hat?«
»Das ist korrekt.«
»Schauen Sie hier … dieses Hämatom. Sie hat einen Ring an diesem Finger getragen.«
»Er muss kurz zuvor abgenommen worden sein oder sogar, nachdem sie getötet wurde.«
»Ihre Hände. Ihre Nägel sind bis auf die Nagelhaut abgekaut, aber da sind keine Schwielen. Sie sind nicht von Arbeit abgenutzt. Es ist klar, dass sie keine körperliche Arbeit verrichtet hat.«
Obwohl Mark die Identität der Mörderin kannte – zumindest wusste, dass es sich um die Dunkle Braut handelte –, hatte er das Gefühl, der Frau Aufmerksamkeit und Respekt zu schulden. Schließlich war ihr Körper in einem bizarren Akt ihm zu Ehren am Ufer des Flusses abgelegt worden.
Der Arzt legte den Deckel auf die letzte Wanne zurück. »Ich denke, Sie werden sehr interessiert sein, die Kleidung zu sehen, die sie getragen hat. Die Fetzen werden uns helfen, sie zu identifizieren. Auf einem speziellen Stück ist sogar ein Name aufgedruckt. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
Die beiden Detectives begleiteten ihn zum nächsten Tisch, verfolgt von zwei unsichtbaren Unsterblichen. Dort lagen große Stücke Stoff, die aus Kleidung herausgeschnitten worden waren, zur Untersuchung auf dem Tisch ausgebreitet. Jeder Fetzen war mit schwachen Blutflecken getränkt, die vom Fluss verwässert worden waren.
Mark schloss die Augen, dann knirschte er mit den Zähnen. Zwei der Stücke – eins von einem dunklen Ulster-Mantel abgeschnitten und ein Fetzen braunen Wollstoffs – passten zu der Kleidung, die das Mädchen auf der Brücke in jener Nacht getragen hatte.
»Sehen Sie den Namenszug, der in den Taillenbund dieses Leinenstücks gestempelt wurde?«, fragte der Arzt.
»›L.E. Fisher‹«, las Detective Regan vor.
Tunbridge kritzelte den Namen in seinen Bericht.
Aber Mark wusste es sofort. Der Name des Mädchens war Elisabeth gewesen. Elisabeth Jackson. Wahrscheinlich würden sie bei näherer Betrachtung entdecken, dass ihre Kleider gebraucht gekauft waren und noch den Namenszug ihrer früheren Besitzerin trugen. Mark wollte sie nicht länger ansehen. Ja, er hatte zwei Jahrhunderte als Schattenwächter verbracht und während dieser Zeit Leichen
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