Shadow Guard: Wenn die Nacht beginnt (German Edition)
Haare um ihre Finger zwirbelte.
»Selene, wissen Sie irgendetwas über die Briefe und Telegramme, die Ms Whitney geschickt hat?«
»Hmmm.« Sie seufzte schwer und kreuzte ihre Füße auf einem Daunenkissen.
»Zweifellos zu Asche verbrannt«, murmelte Mr Leeson.
Noch wahrscheinlicher war indes, dass Selene sie gegessen hatte. Als Bibliophile mit unstillbarem Appetit litt sie an einem verrückten, fetischähnlichen Hunger nach dem geschriebenen Wort – einem Hunger der buchstäblichsten Art. Sie verschlang alle möglichen Briefe, Zeitungen und Bücher, wie ein verwöhntes Kind vielleicht Süßigkeiten verschlingen würde.
»Ich habe keine Geduld dafür«, knurrte Archer und stieß ungehalten zuerst einen Arm, dann den anderen in seine Mantelärmel. »Nicht heute Abend, da es so viel zu tun gibt. Aber Selene, bitte, Sie sollen wissen, dass wir beide die Angelegenheit weiter und in allen schmerzlichen Einzelheiten erörtern werden, wenn ich morgen früh zurückkomme.«
»Wir gehen aus?« Selene schoss hoch und vergaß, weiterhin Trägheit vorzuspielen. »Ich werde meinen Umhang holen.«
Als sie an ihm vorbeirauschte, packte er sie am Arm. Sie drehte sich um und presste sich selbst und alle ihre weiblichen Attribute an ihn. Mit lächelnden Lippen und einem direkten Blick trachtete sie danach, ihn zu provozieren und in Versuchung zu führen, aber er empfand nichts für sie, keinen Funken ihrer früheren Leidenschaft. Verrat verzieh er niemals.
»Hören Sie gut zu«, sagte er leise, »denn ich werde mich nicht wiederholen. Wir arbeiten nicht zusammen. Wir werden nie wieder zusammenarbeiten.«
Selene zuckte zurück, tiefe Röte erfasste ihre Wangen. »Ich bin eine Schattenwächterin, verdammt, genau wie Sie. Wir haben zwei Zielpersonen und arbeiten in lächerlicher Nähe zueinander. Es ist nur vernünftig, dass wir unsere Bemühungen vereinen.«
»Ich habe schon genug mit Ihrem verdammten Bruder zu tun. Ich kann mich nicht auch noch um Sie kümmern.«
»Das ist nicht gerecht.« Sie krallte die Finger in die Seide ihrer Röcke.
»Meinen Sie?«
»Natürlich nicht.«
»Sie haben recht. Ich habe meine Meinung geändert.«
»Ach ja?« Sie machte einen Schritt nach vorn, ein hoffnungsvoller Ausdruck trat in ihre Züge.
»Sie werden heute Abend überhaupt nicht ausgehen.«
Sie erstarrte. »Was?«
»Sie haben richtig gehört. Trinken Sie Wein. Spielen Sie mit Leeson Karten.« Archer kniff die Augen zusammen und schaute sie eindringlich an. »Essen Sie ein paar Bücher. Aber es ist Ihnen verboten, das Gelände von Black House zu verlassen.«
Er stolzierte aus dem Raum und schloss die Tür energisch hinter ihrem zornigen Kreischen.
In der Halle schnappte er sich den hölzernen Griff der Messingglocke und läutete energisch. Schritte näherten sich. Mr Jarvis erschien.
»Ja, Mylord?«
Archer schaute auf seine Taschenuhr. »Ich werde die Kutsche wieder benötigen.«
»Sehr wohl. Ich werde in den Ställen Bescheid sagen.« Der Mann verneigte sich, dann ging er zurück in die Richtung, aus der er gekommen war.
»Mr Jarvis«, rief Archer ihm nach.
»Ja, Lord Black?«
»Ich möchte dorthin gebracht werden, wo Ms Whitney hingefahren ist. Wo auch immer das sein mag.«
3
»Die Füllung in diesem Polster ist zu weich. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich Rückenschmerzen bekomme.« Mrs Hazelgreaves runzelte die Stirn und umspannte den Knauf ihres Gehstocks fester.
Elena und ihre Gesellschafterin waren gerade erst in Lord und Lady Kerrigans Haus auf der Curzon Street eingetroffen. Nachdem sie die Vorstellungsrunde absolviert hatten, war Mrs Hazelgreaves nur allzu erpicht darauf gewesen, einen Sitzplatz zu finden.
»Bitte, nehmen Sie meinen Sessel.« Elena stand auf. »Er ist ziemlich hart, und die Armlehnen sind ebenfalls gepolstert. Darf ich Ihnen ein Glas Limonade holen?«
Lady Kerrigans »kleine, zwanglose Angelegenheit« hatte sich als weder klein noch zwanglos entpuppt. Gäste drängten aus einem opulent ausgestatteten Raum in den nächsten und bewunderten die große Sammlung an Skulpturen und goldgerahmten Kunstwerken, die die Familie zusammengetragen hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite der Galerie hatte man die Teppiche zurückgerollt, und ein kleines Orchester spielte Strauß.
»Vielleicht später, meine Liebe. Im Augenblick möchte ich einfach nur hier sitzen und alles anschauen.«
Immer noch erschüttert von ihrer unerwarteten Begegnung mit Lord Black stimmte Elena zu, erleichtert, dass sie
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