Shadow Guard: Wenn die Nacht beginnt (German Edition)
sich nicht selbst vor?«
Archer nahm ein exakt gefaltetes Hemd von einem Stapel in der Truhe und schüttelte es aus. Er hatte Elena nicht so faszinierend und liebreizend in Erinnerung gehabt. In jener Nacht – für einen Mann von unsterblicher Existenz nicht mehr als ein Wimpernschlag in der Zeit – war sie bleich vor Entsetzen gewesen, von Prellungen gezeichnet und furchtbar dünn. Diese Elena war in der jungen Frau, die jetzt mitten in seinem Arbeitszimmer stand, kaum wiederzuerkennen. Ihr lebhaftes Gesicht strahlte, und sie hatte sich das blonde Haar zu einer glänzenden Kaskade aus Locken gedreht.
Er hatte viele schöne Frauen gekannt. Aber Elena war etwas Besonderes. Sie verströmte Wärme, Leben, etwas Berauschendes, das aus ihrer Seele selbst kam und ihn in seinen Bann zog. Die gleiche schwer fassbare Verbundenheit, die er in jener Nacht auf dem Dach gespürt und die zu vergessen er sich gezwungen hatte.
»Lady Black …« Sie lächelte etwas zu strahlend.
Archer kniff die Augen zusammen. Was für eine gänzlich unglückselige Vermutung, eine, von der er wusste, dass sie Selenes Eitelkeit immens schmeicheln müsste. Sein Mündel fuhr mit der irregeleiteten Begrüßung fort.
»Willkommen zu Hause. Ich muss mich für dieses Eindringen in Ihre gemeinsame Privatsphäre entschuldigen. Mir war nicht bewusst …«
Selene zog eine ihrer seidigen, dunklen Brauen hoch. »Sie brauchen sich bei mir nicht zu entschuldigen.«
»Wie bitte?« Elena stieg Röte in die Wangen.
Der unvernünftige Drang, ihre glühende Haut zu berühren, diese Hitze zu vertreiben, packte ihn mit unerwarteter Wucht.
»Sie ist nicht Lady Black«, warf er ein.
Selene richtete einen besitzergreifenden Blick auf ihn. »In diesem Punkt ist er etwas halsstarrig.«
Der ältere Mann am Schreibtisch lachte leise. Plötzlich bekam der ganze Wortwechsel einen schlüpfrigen Beigeschmack. Er konnte sich die schmutzigen Schlussfolgerungen vorstellen, die Elena ziehen musste.
»Ms.« Archer lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich selbst. Er umklammerte sein Handtuch, außerstande, es loszulassen, solange sie sich im Raum befand. »Ich erbitte nur einen Augenblick, damit ich mich ankleiden kann.«
In dieser kurzen Zeit konnte er Leeson befragen und eine Erklärung für ihre unerwartete Anwesenheit in Black House verlangen. Aber mit einem Blick konnte er sehen, dass der Schaden bereits angerichtet war. Trotz ihres tapfer angespannten Kinns glänzten Tränen in ihren bemerkenswerten Augen.
»Ich habe Ihnen eine ganze Anzahl Briefe geschrieben«, flüsterte sie. »Haben Sie sie denn nicht erhalten?«
Archer warf einen durchdringenden Blick auf Leeson, der mit einem einfältigen Achselzucken und einem Kopfschütteln reagierte.
»Anscheinend nicht.«
»Und meine Telegramme?«
Ein weiterer Blick. Ein weiteres Achselzucken.
»Ich habe keine Telegramme erhalten.«
Sie nickte knapp. »Warum müssen Sie jedes Mal ihn ansehen, bevor Sie antworten?«
»Weil Mr Leeson meine Korrespondenz verwaltet und seine Sache offensichtlich nicht übermäßig gut macht, Ms – Ms …«
Verdammt, jetzt hatte er sich verhaspelt. Er wusste, dass ihr Vorname Elena war, aber er vermochte sich um alles in der Welt nicht an ihren Nachnamen zu erinnern.
Leeson murmelte die Antwort.
Archer platzte heraus: »Ms Whitney .«
Elena schnappte nach Luft, und ihre Augen weiteten sich, als sie begriff. »Sie wissen nicht einmal, wer ich bin.«
»Ich weiß, wer Sie sind«, blaffte er, wütend auf seinen Sekretär, der die Antwort laut vorgesagt hatte, wo eine sein Unwissen verschleiernde Variante die offensichtliche Lösung gewesen wäre. Als er begriff, wie schroff er geklungen haben musste, bemühte er sich um einen sanfteren Ton. »Ich habe mich einfach nicht an Ihren Namen erinnert.«
Angespannte Stille legte sich über den Raum.
Er sagte: »Wenn ich nur mein Hemd und meine Hosen anziehen könnte, könnten wir …«
»Vielleicht morgen.« Das Mädchen straffte die Schultern und reckte das Kinn vor. Sie sah ihm nicht mehr in die Augen. »Ich habe heute Abend anderweitige Verpflichtungen und fürchte, dass ich mich bereits unverzeihlich verspätet habe.«
»Ms Whitney …«
»Einen angenehmen Abend Ihnen allen.«
Zu seinem Entsetzen ging sie auf die Tür zu, an der mit verschränkten Armen Selene stand, eine mürrische Torhüterin, die keinen Millimeter zur Seite wich. Als Elena an ihr vorbeiging, streiften sich ihre Röcke raschelnd.
»Tun Sie es nicht, Selene
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