Shadow Guard: Wenn die Nacht beginnt (German Edition)
Schlangentätowierung.
Mit leiser Stimme sagte sie: »Wir hatten noch immer keine richtige Chance, miteinander zu reden und uns bekannt zu machen. Verraten Sie mir, wie es dazu gekommen ist, dass Sie für mein Wohlergehen verantwortlich sind? Woher kannten Sie meinen Vater?«
»Unsere Bekanntschaft war … nur vorübergehend.«
Vorübergehend, ja. Je nachdem, wie man das Wort definierte, war er entweder ein verdammter Lügner, oder er sagte die absolute Wahrheit.
Die Enttäuschung war ihr deutlich anzusehen. »Sie waren also keine Freunde?«
»Eigentlich nur Bekannte.«
Unter der Krempe ihres Hütchens runzelte sie die Stirn. »Wenn Sie kein Freund oder Verwandter waren, warum hat er Sie dann als meinen Vormund ausgewählt?«
»Weil, Ms Whitney, niemand sonst da war.«
Ihre Augen wurden feucht von plötzlichen Tränen. Gott, er war durch und durch ein Mistkerl.
»Sie haben ihn also auf Ihren Reisen kennengelernt?«
Er nickte. Wieder hing die Wahrheit von der Definition des Wortes »Reisen« ab.
»Waren wir beide einander vorher schon begegnet?«
»Nein.«
Ihre Stimme wurde heiser. »War mein Vater wirklich so allein auf der Welt?«
Archer zog ein Taschentuch aus seiner Brusttasche. Als er es ihr reichte, umfasste sie sowohl das Taschentuch als auch seine Hand mit beiden Händen.
»Ganz und gar nicht«, versicherte er ihr. »Er hatte Ihre Mutter und dann Sie und natürlich all die Menschen des Dorfs, in dem er seinen Dienst tat. Er hatte ein zutiefst befriedigendes Leben.«
Was für ein wundervolles Bild er soeben gezeichnet hatte – so simpel und doch perfekt. Ihm wurde plötzlich klar, dass er geradezu neidisch auf den gefälschten Dr. Phillip Whitney war, den er erschaffen hatte.
»Sie wissen, dass ich immer noch keine Erinnerungen an die Zeit vorher habe.«
»Das tut mir sehr leid.«
Es tat ihm leid. Er hatte sie zugegebenermaßen in ein gewisses Maß an Elend gestürzt. Aber wenn er die Alternative bedachte, würde er auch im Nachhinein nichts ändern.
»Was ist, wenn die Erinnerungen niemals zurückkommen?« In ihrer Stimme klang Verzweiflung mit. »Das Leben ist so kurz, Lord Black. Können Sie das nicht verstehen? Es ist wichtig, dass meine neuen Erinnerungen etwas Bedeutsames sein werden. Ich möchte gern jemand sein, auf den meine Mutter und mein Vater stolz gewesen wären.«
»Das sind Sie bereits.«
Sie schüttelte in offenkundigem Ärger den Kopf, als verstünde er nicht. »Hat mein Vater mir vielleicht irgendeine Art Erbe hinterlassen?«
Sein Lächeln verblasste. Er hatte gefürchtet, dass sie ihn das fragen würde. Er konnte ihren Verstand arbeiten sehen, während sie herauszufinden versuchte, ob sie irgendwie von ihm unabhängig werden könnte. Er entzog ihr die Hand und ließ das Taschentuch in ihren Fingern.
»Ja, natürlich, aber nicht mehr als eine Waisenpension. Ganz bestimmt nicht genug, um Sie durch die drei Jahre der medizinischen Fakultät zu bringen und die fünf praktischen Ausbildungsjahre im Hospital. Ihr Vater war in Sie vernarrt, Elena, aber genauso vernarrt war er in seine Aufgabe. Man wird nicht reich, wenn man in Afrika ein freies Hospital leitet.«
Das Leuchten schwand aus ihren Augen, und er hasste sich dafür, dass er daran schuld war. Aber er weigerte sich, sie ohne Rückhalt in die Welt gehen zu lassen. Noch nicht.
»Sie haben natürlich recht«, murmelte sie.
»Es tut mir leid.«
»Es ist nicht Ihre Schuld.«
»Schwester Whitney!«, rief eine Frauenstimme. »Schwester Whitney! Hier bin ich, hier drüben.«
Elena suchte die Menge mit Blicken nach der Rufenden ab, zugegebenermaßen erleichtert über die Störung. Ja, Lord Black hatte ihr die Antworten gegeben, nach denen es sie verlangt hatte, aber sie waren nicht gerade das, was sie zu hören gehofft hatte.
Die Menge teilte sich gerade lange genug, dass sie eine junge Frau sehen konnte, die mit einer behandschuhten Hand winkte und sich auf eine Krücke stützte.
»Lizzy!«
Erleichterung überwältigte sie, und sie sprang von dem Mäuerchen, lief über die Straße und hielt nur inne, um Archer zu bedeuten, dass er ihr folgen sollte. Er tat wie geheißen; sein Blick war düster und irgendwie besitzergreifend – etwas, das sie verwirrte, wenn man an das ernsthafte Gespräch zwischen Vormund und Mündel dachte, das sie nur Augenblicke zuvor geführt hatten.
Als sie näher kam, rief Lizzy: »Hallo, Sie. Was für eine Überraschung. Wohnen Sie hier in der Nähe?«
»Nein, aber ich bin der Menge
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