Shadow Killer - Und niemand hoert deinen Schrei
auf der Suche nach einer Veränderung in seiner Körpersprache weiter forschend an. Bisher hatte sie einfach nett mit ihm geplaudert, um herauszufinden, wie er sich normal verhielt, um seine Eigenheiten, seine Stimme, seine Gedankengänge zu durchschauen.
Nun war es an der Zeit, ihm zu enthüllen, was der wahre Grund ihres Besuches war.
»Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass es bei unseren Ermittlungen nicht nur um das Feuer in dem Theater geht. Es sieht so aus, als ob vor circa sieben Jahren bei der letzten Renovierung ein Mensch in einer der Wände eingemauert worden ist.«
»Was? Ich verstehe nicht.«
»Nach dem Brand wurden die Überreste eines Skeletts gefunden, Mr. Cavanaugh. Sie wollen der Sache bestimmt genauso auf den Grund gehen wie ich.«
Der Mann versuchte, jede Reaktion zu unterdrücken, aber seine Augen sprangen hektisch hin und her. Einem Mann wie Cavanaugh könnte sie bestenfalls einen kurzen Ausrutscher entlocken, ein verräterisches Wort, das ihr irgendeinen Hinweis gab. Doch der Kerl hatte sich in weniger als zwei Sekunden bereits wieder völlig in der Gewalt.
»Wie schrecklich«, sagte er. »Kennen Sie die Identität dieses armen Individuums schon?«
»Wir arbeiten noch daran. Aber vielleicht könnten Sie mir sagen, wann Sie diese junge Frau zum letzten Mal gesehen haben?«
Becca reichte Cavanaugh das Bild von Isabel. So, wie sie die Frage stellte, machte es den Eindruck, als wäre bereits klar, dass er wusste, wer das Mädchen war.
Trotzdem meinte er: »Tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht helfen. Ich kenne dieses Mädchen nicht.«
Er winkte seine beiden Handlanger zu sich heran. Der ›Junge ohne Hals‹ schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern. Eine eiskalte Reaktion. Er hatte sich das Bild von Isabel höchstens zwei Sekunden angesehen. Wahrscheinlich würde er genauso reagieren, falls ihn jemand fragte, ob er gegen Laktose allergisch war. Ein echtes Pokerface. Eine tote junge Frau hatte für diesen Kerl wahrscheinlich keine größere Bedeutung als ein geblähter Bauch infolge des Genusses eines Milchprodukts.
Bei Diego sah es anders aus. Er starrte sie aus zusammengekniffenen Augen fragend an, wobei in seinem Blick ein Hauch von Mitgefühl und Sorge lag. Vielleicht spielte er das ja auch nur. Becca atmete tief ein und widerstand dem Drang, allzu viel in seinen Blick hineinzuinterpretieren. Nachdem ihr Leben bereits völlig aus dem Gleichgewicht geraten war, käme sie mit einer potenziellen weiteren Enttäuschung namens Diego ganz bestimmt nicht mehr zurecht.
»Glauben Sie, das ist die junge Frau, deren Leiche in dem Theater gefunden worden ist, Detective?«
»Das kann ich noch nicht sicher sagen, Sir.«
»Nun, natürlich tut die junge Frau mir leid, aber was hat all das mit mir zu tun?«, fragte Cavanaugh.
Becca hasste diese Frage. Hatte sie schon allzu oft gehört. Sie holte noch einmal tief Luft und kämpfte gegen ihren Widerwillen an. Mord war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ein verderbter Akt, der die Menschheit in ihrer Gesamtheit traf. Cavanaugh jedoch sah die Welt aus einer anderen Perspektive. Sie drehte sich ausschließlich um ihn. Schluss, aus. Bei einem Mann wie ihm würde sie nichts erreichen, wenn sie ihm erläuterte, wie sie selber diese Dinge sah.
»Ich muss allen Spuren nachgehen. Und Ihnen hat das Gebäude damals noch gehört.« Sie stellte ihre Kaffeetasse auf der Untertasse ab. »Was für ein Motiv könnte jemand haben, ausgerechnet dort einen Menschen verschwinden zu lassen?«
»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte er viel zu schnell.
Er war weder empört noch stellte er ihr irgendwelche Fragen. Er schien noch nicht mal neugierig zu sein. Ihrer Erfahrung nach hätte ein unschuldiger Mensch über die Frage gegrübelt und erst einmal über eine mögliche Antwort nachgedacht. Wohingegen jemand, der etwas zu verbergen hatte, ihr eine Antwort geben würde, ohne vorher nachzudenken. Und genau das hatte Cavanaugh getan.
Sie beschloss, es mit einer anderen Taktik zu versuchen.
»Spielen Sie bitte trotzdem noch ein bisschen mit, Mr. Cavanaugh. Weil ich, ehrlich gesagt, jede Hilfe brauche, die ich bei einem alten Fall wie diesem kriegen kann. Weshalb sollte jemand einen Menschen hinter einer Wand Ihres Theaters verschwinden lassen?«, fragte sie ihn noch einmal.
Wenn sie ihn richtig durchschaute, war Cavanaugh ein Mann, der es genoss, immer Herr der Lage zu sein. Deshalb erschien es ihr nur natürlich, seinem Intellekt zu
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