Shadow Killer - Und niemand hoert deinen Schrei
schmeicheln. Bei dem Ego, das er hatte, war er vielleicht so kühn, ihr ein paar Elemente der Wahrheit zu enthüllen. Weil er wahrscheinlich glaubte, er stünde über dem Gesetz und wäre vor allem gewiefter als die Polizei. Und es war nicht ihre Aufgabe, ihm zu beweisen, dass diese Einschätzung ein Irrtum war. Ihr einziges Ziel war im Augenblick, ihn dazu zu bewegen, dass er weiter mit ihr sprach. Wenn sie auch nur einen Hauch von Menschenkenntnis hatte, würde sein Ego dafür sorgen, dass er ihr so weit entgegenkam.
Sie nahm aus den Augenwinkeln wahr, dass Diego sein Gewicht verlagerte, widerstand jedoch dem Drang, den Kopf zu drehen und ihn anzusehen. Sein Verhalten rief ihr seine Warnung über seinen ›Gönner‹ in Erinnerung, ihr gingen seine Worte durch den Kopf: Sie sollten darauf achten, dass Sie ihm gegenüber mit einem Spitzenteam auflaufen. Ich kann Ihnen nämlich gar nicht sagen, wie mächtig und gemein er ist. Plötzlich kam ihr die billige Columbo-Masche nicht mehr ausreichend für diese Herausforderung vor.
Sie wandte sich wieder an Cavanaugh, und als sie sein einnehmendes, perverses Lächeln sah, bekam sie eine Gänsehaut.
»Sie meinen, ich soll eine Hypothese aufstellen?«, wollte er von ihr wissen. Als sie wortlos nickte, ließ er seinen Blick nachdenklich in die Ferne schweifen und tat, als spiele er mit. »Nun, nehmen wir an, dass diese namenlose Leiche die wunderhübsche junge Frau von dem Foto ist …«
Er wartete, bis sie seine clevere Schlussfolgerung bestätigte, und fuhr mit ruhiger Stimme fort: »Dann könnte es ein Verbrechen aus Leidenschaft gewesen sein, wie in den Romanen von Edgar Allan Poe. Ein Freund, dem sie den Laufpass gegeben hat, hätte sie lebend begraben und dabei noch den Klang ihres schlagenden Herzens im Ohr gehabt. Was für einen dramatischeren Ort für einen solchen Akt könnte es da geben als ein altes Theater?«
»Bei allem gebührenden Respekt, Mr. Cavanaugh, ich habe nicht gesagt, dass das Opfer lebendig begraben worden ist. Aber bitte fahren Sie fort. Ihre Gedanken sind wirklich interessant.«
Er verstummte kurz und dachte über ihren Einwurf nach.
»Nein, ich nehme an, das haben Sie wirklich nicht erwähnt.« Er verzog den Mund zu einem breiten Grinsen. »Aber so hätte es Poe auf jeden Fall gemacht.«
Dann hob er den Kopf und fuhr mit krächzender Stimme fort. »Ich habe dieses Mädchen nicht gekannt, vielleicht war sie ja nicht völlig unschuldig. Vielleicht hat sie ja ein geheimes Leben geführt, von dem niemand etwas wusste. Ist das die Art von Spekulation, die Sie meinen?«
Einen unangenehmen Augenblick lang lenkte er seinen Blick auf sie zurück, und sie blinzelte nervös. Er sah sie derart durchdringend aus seinen eisblauen Augen an, dass ihr der Atem stockte. Obwohl er seine Sätze als Fragen formulierte, kamen sie wie die nüchterne Feststellung von Fakten bei ihr an.
Dann beugte sich Cavanaugh ein wenig vor, verringerte den Abstand zwischen ihnen weit genug, dass ihr unbehaglich wurde, strich mit einem Finger über die weiße Rose am Aufschlag ihrer Jacke und fuhr mit leiser, vertraulicher Stimme fort.
»Ein älterer Mann kann einer jüngeren Frau sehr viele Dinge bieten. Vielleicht hat sie sich unwissentlich wie eine Motte allzu nah an eine sehr gefährliche Flamme herangewagt.«
Becca wich nicht vor ihm zurück. Atme, verdammt noch mal. Statt aufzuspringen und Distanz zu diesem Widerling zu schaffen, erwiderte sie seinen reglosen Blick. Trotzdem hatte ihr Grusel-Barometer die rote Zone erreicht.
Vater Victor hatte gestern angedeutet, Isabel hätte eine Beziehung zu einem älteren Mann mit Geld gehabt.
Starrte Becca vielleicht in die Augen eines Mörders? Auch wenn sie mühsam schluckte, setzte sie ein Lächeln auf.
»Sehr gut. Wenn Sie sich mal verändern wollen, lege ich bei Ihren Fähigkeiten gern ein Wort bei meinen Vorgesetzten für Sie ein.« Um Ihre Fassung wiederzuerlangen, trank Becca einen Schluck Kaffee und fuhr dann ruhiger fort. »Das Feuer gestern könnte Brandstiftung gewesen sein. Haben Sie auch diesbezüglich irgendwelche Theorien?«
»Brandstiftung? Tja, dann haben Sie ja schon die Antworten auf Ihre Fragen«, stellte er gelassen fest.
»Inwiefern?«
»Wer auch immer das Feuer gelegt hat, wusste ohne Zweifel über die Leiche Bescheid. Das ist doch wohl sonnenklar. Sonst wäre es schließlich ein allzu großer Zufall. Ihr Brandstifter könnte der Mörder sein.«
»Eine interessante Theorie.«
Cavanaugh sah so
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