Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Shadow Touch

Titel: Shadow Touch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
Vom Netzwerk:
diese Würdelosigkeit ertragen zu müssen. In den Händen hielt sie zwei weiße Socken und bewegte ihre nackten Zehen auf dem Zementboden. Ihre blutigen Hände färbten den Stoff rot, obwohl Artur nicht mehr annahm, dass es ihr Blut war. Sie sah ihn nicht an, also betrachtete er ungeniert die Schwellung auf ihrer Wange. Hatte Rictor sie geschlagen?
    »Sind Sie taub?«, fragte Rictor Charles. Seine Stimme kam ruhig, tödlich ruhig. »Ich sagte, treten Sie zurück, verdammt!«
    »Ich habe Sie gehört«, erwiderte Charles. »Ich bin nur sehr langsam.«
    Die Frau bewegte sich. Artur drehte sich um, und für einen Moment, zum ersten Mal, so schien es, begegneten sich ihre Blicke. Es war etwas anderes, ihr in die Augen zu sehen, als gäbe es die Distanz zwischen ihnen nicht, als bestünde sie in weniger als einem Gedanken; die Intensität ihres Blickes, die der dunklen Augen, das bestürzte ihn. Er war so, wie er es sich vorgestellt hatte, mehr noch, scharf, forschend, trotzig. So trotzig, dass Artur unwillkürlich lächelte. Denn hier gab es noch einen Kämpfer, einen anderen Gefangenen. Er war nicht allein.
    Sie hat einen reinen Geist. Rein und hell und stark.
    Obwohl er schon überwältigt war, wollte Artur sie trotzdem berühren. Es war das erste Mal, dass er so etwas bei jemandem empfand, einschließlich Tatyana. Er musste sie berühren, um sicher zu sein, um sich zu vergewissern. Aber noch während er die Finger krümmte, wandte sie den Blick ab und sah an ihm vorbei Charles an. Das trotzige Leuchten in ihrem Blick erlosch, doch sie riss sich zusammen, hob das Kinn und starrte, ohne mit der Wimper zu zucken, in die kalten grünen Augen.
    Artur wollte schreien: Nein, tu das nicht, geh vorsichtig mit deinem Leben um! Aber er schwieg. Es wäre eine Beleidigung gewesen, denn er sah, dass nur ihr Stolz sie aufrecht hielt und ihren Blick schärfte. Wusste sie vielleicht nicht, wie gefährlich Charles Darling für sie war, wie tödlich seine Berührung sein würde?
    Dann jedoch sah Artur genauer hin, bemerkte die weißen Knöchel und die Starre ihres Körpers. Aus jeder Pore drang ihre Anspannung.
    Sie weiß es. Mein Gott, sie weiß es!
    Charles lächelte, langsam und eiskalt. »Sie müssen neu hier sein. Ich kenne Ihr Gesicht nicht.«
    Die Augen der Frau verdunkelten sich. Rictor stieß Charles zurück.
    »Sie überschreiten Ihre Grenzen«, murmelte Rictor. Dennoch klang seine Stimme alles andere als weich. »Sie haben vergessen, wo Sie stehen.«
    »Nein«, widersprach Charles. »Sie haben Ihren Platz vergessen. Oder wissen Sie nicht mehr, warum ich hier bin und was ich tun soll?«
    »Was Sie tun sollen oder tun wollen?« Rictor hob eine Braue und verzog verächtlich die Lippen. »Sie sind in Ihr Monster verliebt.«
    »Es ist ein Monster nötig, um ein Monster heranzuzüchten.« Charles sah an Rictor vorbei zu Artur hin und dann die Frau an. »Oder haben Sie das vergessen? Sind L’Araignees Lektionen so schnell verblasst?«
    Dich hat niemand herangezüchtet, dachte Artur und trat zur Seite, damit Charles die Frau nicht mehr ansehen konnte. Einen Augenblick später fühlte er, wie sie sich erneut bewegte, damit er doch wieder eine ungehinderte Sicht auf sie bekäme. Er verstand ihre ruhige Hartnäckigkeit nicht, sie beunruhigte ihn.
    Sie beunruhigt dich, weil du sie so gut kennst. Du würdest genauso handeln. Zu viel Stolz.
    Die Frau starrte Charles an, ein Blickduell mit einem Serienmörder. Artur konnte sich nichts Entsetzlicheres vorstellen, und auch nichts Bewundernswerteres. Er fühlte, wie Rictor ihn beobachtete, und erwiderte den Blick des Mannes. Überall Blickduelle. Häscher, Gefangene - die Grenzen verschwammen in seinem Kopf, verzerrt durch Schmerzen.
    »Das Blut gefällt mir«, sagte Charles zu der Frau.
    »Komisch«, erwiderte sie.
    Charles’ Miene veränderte sich nicht, aber Rictor warf ihm einen scharfen Blick zu, trat langsam vor ...
    Charles’ Schlag zielte auf seine Kehle. Rictor wich geschickt aus, sodass die gekrümmten Finger des Mannes harmlos durch die Luft zischten. Dann packte Rictor sein Handgelenk und bog es mit einer scharfen Bewegung nach unten. Artur hörte, wie ein Gelenk knackte; Charles’ Schulter ragte plötzlich in einem seltsamen Winkel hervor. Es ging schnell, sehr schnell.
    »Ich dachte, Sie wären ein geduldiger Mann«, meinte Rictor leise und beiläufig, als wären sie allein und plauderten entspannt.
    »Ich bin ein Mann«, antwortete Charles. In seiner Stimme war keine Spur von

Weitere Kostenlose Bücher