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Shadow Touch

Titel: Shadow Touch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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Schmerz zu hören. »Die Versuchung, wissen Sie.«
    Die Frau keuchte leise. »Wer sind Sie eigentlich alle?«
    »Sie nennen sich das Konsortium«, erwiderte Artur und drehte sich zu der Frau herum. Es drängte ihn, ihr etwas zu geben, womit sie sich schützen konnte, und zwar schnell, sofort, bevor ihn jemand daran hindern konnte. »Sie sind nichts weiter als Kriminelle.«
    »Sie machen Experimente mit Leuten wie uns«, flüsterte sie. »Aber Sie sind der Erste ...«
    Sie unterbrach sich. Artur fragte sich, warum sie ihn so besorgt anstarrte.
    Etwas tropfte von seiner Nase herunter. Artur hob die Hand. Seine Fingerspitzen färbten sich rot. Er fühlte die Wärme in seinen Ohren, die Flüssigkeit, die durch den weichen Kanal sickerte und seinen Nacken hinablief. Er roch Blut, diesmal nicht das der Frau.
    Der Schmerz war so sehr zu einem Teil von ihm geworden, dass er ihn vergessen hatte, ihn abgetrennt hatte, wie er auch Erinnerungen abtrennte, damit er sich auf die Gegenwart konzentrieren konnte, auf das, was getan werden musste. Zu lange, zu viel - die Bruchstelle war gekommen und gegangen und jetzt ... jetzt werde ich bezahlen ...
    Hätte man ihm eine Axt ins Hirn gerammt, so wäre das freundlicher gewesen. Artur hatte das Gefühl, als würden Giganten seinen Schädel knacken, um an das Fleisch zu kommen, als würden sie auf seinem Gehirn herumkauen. Er taumelte. Die Frau streckte den Arm aus und berührte ihn, noch während Rictor sie aufzuhalten versuchte. »Nein.«
    Ihre Hände waren weich. Das bemerkte Artur zuerst, noch während ihr Schatten durch ihn glitt und Licht in seinem gemarterten Hirn entzündete. Ihre Haut fühlte sich gut an, süß.
    Bilder flackerten auf, doch sie waren verzerrt; sein sterbendes Hirn konnte sie nicht sortieren. Er konnte nur ihre Stimme verstehen, ihr Flüstern: Ich kann ihn heilen, o Gott, was haben sie diesem Mann angetan! Warum sind wir hier? Warum sind sie so grausam? Bitte, halt durch, stirb nicht, bitte, hör mir zu, hör zu ...
    Er hörte zu und fiel zu Boden. Die Frau, Elena, bückte sich, und ihre Hände glitten von seinen Schultern zu seiner Brust. Er versuchte, ihr ins Gesicht zu sehen, aber er sah nur die Männer hinter ihr. Rictor, ein dunkler Schatten, der Elena wegziehen wollte, es sich im letzten Augenblick aber anders überlegte und einen Schritt zurücktrat. Artur hatte einen Moment lang den Eindruck, dass seine Augen glühten.
    Dann sah er nur noch die Frau, deren Lippen sich bewegten, und in seinem Kopf, seinem zerschmetterten, zerstörten Kopf, hörte er sie sagen: Ruh dich eine Weile aus, schlaf ein wenig, nimm etwas von meinem Herzen.
    Er gehorchte, und zum ersten Mal in seinem Leben fühlte sich das gut an.

5
    Es war auch gut, dass Elena bereits darin geübt war, selbst unter größtem Stress die Fassung zu bewahren. In überfüllten Krankenhäusern zu versuchen, tödliche Krankheiten zu heilen, hatte ihr ein gewisses Selbstbewusstsein geschenkt, von der eher verzweifelten Art des »Ich-habe-ein-Geheimnis«. Das kam ihr jetzt sehr gelegen, jedenfalls, wenn sie ihre Panikattacke nicht einbezog. Was sie nicht tat.
    Trotzdem traf es sie wie ein Schock, plötzlich einem anderen Gefangenen gegenüberzustehen. Dieser Ort war plötzlich keine Geisterstadt mehr, verlassen und einsam. Sie war nicht allein, der einsame Freak, der lediglich von einem anderen Freak begleitet wurde, der sowohl als Schließer wie auch als Ratgeber zu fungieren schien.
    Elena überlegte, wie lange der Russe wohl schon in dieser Einrichtung gefangen gehalten wurde, falls es der Mann war, den sie hatte schreien hören. Dass es ihm schlecht ging, war nicht zu übersehen, den Grund dafür hätte sie jedoch nicht benennen können, außer, dass ihr der Instinkt das sagte, ihre Gabe. Der Russe war groß, schlank und gut gebaut, hatte die blasse Haut von Menschen, welche die Sonne scheuen. Sein Haar war dunkel, sein Gesicht markant, sein harter Mund gleichzeitig entzückend und gehetzt.
    Es fiel Elena dennoch schwer, ihn anzusehen. Nicht nur, weil er nackt war. Auch sein Gesicht trug zu ihrem Unbehagen bei, es hatte etwas Fesselndes, Eindringliches und sehr Schmerzliches, das sie sofort abstieß. Fast als könnten weder ihr Geist noch ihr Herz die Kraft seines Blickes aushalten. Dumm, wie dumm; noch nie war ihre Schüchternheit ihr deplatzierter vorgekommen, ungelegener. Elena wusste, dass sie die seltene Gelegenheit verpasste, zu einem Mitgefangenen Kontakt aufzunehmen, ganz gleich, wie dieser

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