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Shadow Touch

Titel: Shadow Touch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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Arztkittel trug. Auf ihren Händen schimmerte feuchtes Blut. Eine Wange war geschwollen.
    Charles blieb unwillkürlich stehen. Der Mann und die Frau ebenfalls.
    Der Mann, dessen Gesicht in Arturs frischen Erinnerungen auftauchte, verzog angewidert das Gesicht, ein Ausdruck, der sich ausschließlich auf Charles zu richten schien. Artur entging nicht, dass er den Ellbogen der Frau berührte, sie aufhielt und vielleicht sogar warnte.
    »Rictor«, sagte Charles, dabei aber sah er die Frau an. Sie erwiderte seinen Blick ungerührt.
    Rictor sagte nichts. Seine Finger berührten immer noch den Ellbogen der Frau. Er starrte Charles an, ruhig, gelassen und vollkommen furchtlos. Das war nicht gespielt; Artur nahm keine Furcht an diesem Mann wahr, nicht einmal einen Hauch von Unbehagen. Wer auch immer Rictor war, er kannte Charles Darling gut genug, um wachsam zu sein, aber nur im Hinblick auf die Frau.
    So wie Charles vor Rictor auf der Hut war.
    Rictor sah Artur an. Er hatte wissende Augen, viel zu alt für sein Gesicht. Artur fühlte, wie etwas sein Gehirn berührte, sachte, ein Flüstern unter den Erinnerungen, die seinen Kopf ausfüllten. Rictors Miene verfinsterte sich.
    »Der Russe sollte etwas anziehen«, sagte er, ohne den Blick von Artur zu nehmen. »Von mir aus eine Zwangsjacke. Wenigstens aber Socken und Handschuhe. Verflucht, Sie haben ihn hereingeholt. Man hat Sie über seine Fähigkeiten informiert. «
    »Das hat man mir nicht befohlen«, gab Charles zurück.
    »Wie bequem«, erwiderte Rictor. »Wo sind die anderen?«
    Charles lächelte. Rictor presste die Kiefer zusammen. Er sah erst Artur an und drehte sich dann zu der Frau herum. »Geben Sie mir Ihre Socken.«
    »Oder was?« Ihre Stimme klang anders, als Artur erwartet hatte, tiefer, wohlklingender. Sie berührte sein Herz, diese ironische Kraft, die so mühelos erschien wie das Atmen.
    »Geben Sie mir die Socken«, wiederholte Rictor. Die Frau bückte sich, langsam, schwankend. Sie wirkte erschöpft. Artur beobachtete sie, die drei Männer beobachteten sie alle, und er wünschte sich, das wäre nicht so; wünschte, sie wäre nicht das Ziel dieser gierigen Blicke. Er sah zu Charles hinüber, der vollkommen gebannt schien, sie mit der Faszination eines Wissenschaftlers anstarrte, kalt, analytisch, ohne etwas zu übersehen. Es war ein Blick, der maß, kalkulierte und plante, Momente plante, die wie Musik in seinem Kopf spielten.
    Artur ertrug es nicht, konnte das nicht erlauben. Er drehte sich um und trat vor Charles hin, blockierte seinen Blick auf die blutbedeckte Frau. Charles’ Kopf ruckte hoch, wie der Kopf eines Tieres; schnell und mit geblähten Nasenflügeln.
    »Was soll das?«, fragte er ruhig.
    Artur fühlte, dass ihn die Frau beobachtete. Er konnte nichts sagen, ohne sie zu beunruhigen, also blieb er stumm und rührte sich nicht. Charles’ Augen verengten sich. Artur bereitete sich auf den Angriff vor.
    »Nicht.« Rictor tauchte neben ihnen auf, schnell und lautlos. Artur und er waren etwa gleich groß, aber so dicht neben ihm kam ihm Rictor viel größer vor. »Denken Sie nicht mal dran.«
    Werden Sie wissen, wenn wir anfangen? Artur stellte die Frage nur in Gedanken, setzte auf seinen Instinkt, auf dieses merkwürdige, federleichte Gefühl in seinem schmerzenden Gehirn. Rictors Blick zuckte einmal in seine Richtung. Artur nahm das als ein Ja.
    »Zurück!«, befahl Rictor Charles, der sich jedoch nicht bewegte. Sein Trotz überraschte Artur keineswegs, obwohl er spürte, wie ungewöhnlich das war. Das Bruchstück einer Erinnerung - etwas von Rictor, eine besondere Macht, vor der sich Charles hütete, die ihn aber zwang, sich an die Regeln zu halten. Diese besonderen Regeln ...
    Artur blinzelte. Es fiel ihm schwerer, zu denken und sich zu konzentrieren.
    Rictor trat näher, ganz dicht heran. Artur machte ihm Platz, wich nach hinten aus, dichter an die Frau heran. Es überraschte ihn. Rictor gab sich eine Blöße, erlaubte Artur, ihn von hinten anzugreifen. Selbst für einen Telepathen, der Arturs Absichten wahrnahm, war das riskant.
    Was Artur jedoch noch viel mehr erstaunte, ihm fast den Atem raubte, war, dass er diese Gelegenheit gar nicht ergreifen wollte. Es gab Schlimmeres als den Tod, Schlimmeres auch, als einen Fluchtversuch in die Freiheit aufzuschieben. Zum Beispiel Charles Darling.
    Artur stand dicht bei der Frau. Er fühlte die Wärme ihres Körpers auf seiner Haut, und er schämte sich, so nackt vor ihr zu stehen. Sie verdiente es nicht,

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