Shadowblade 02 - Schwarzes Feuer
Das schmerzte sie mehr, als sie es jemals erwartet hätte.
Max verdrängte den Schmerz zusammen mit all den anderen Verletzungen in den kalten Abgrund in ihrem Innern. Sie spürte, wie ihre Fassade sich festigte und wie all ihre Gefühle sich legten – wie Sand, der von den Wellen glatt gespült wurde.
»Wo ist Jim?«
Ihr Vater runzelte die Stirn. »Es geht ihm nicht so gut. Der Rauch hat ihm ganz schön zugesetzt, und er hat Bisse abbekommen, die sich infiziert haben. Tris pflegt ihn.«
»Ist sonst noch jemand hier?«
»Nur deine Mutter, ich, Kyle, Tris und die Kinder und dein Freund Jim. Unsere Aushilfe hat gleich am ersten Tag versucht, abzuhauen. Ach, und natürlich die Leshii.«
»Leshii?«, wiederholte Max. Das waren … Sie zermarterte sich das Hirn und unterdrückte den Drang, sich durchs Haar zu fahren. Leshii waren Waldbewohner aus Russland. Sie waren auf ihre eigene Art machtvoll, als Trickster, die die Bäume liebten. Genau wie die Obake konnten sie ihre Gestalt verändern und sich in Bäume oder Gras verwandeln. Normalerweise freundeten sie sich nicht mit Menschen an.
Ihr Vater nickte. »Es ist ein Familienverband. Sie leben seit Hunderten von Jahren auf diesem Land. Als wir es kauften, haben wir uns mit ihnen angefreundet. Sie haben unseren Bäumen geholfen, und wir haben das Nötige für sie getan. Hat ziemlich gut funktioniert.«
Max starrte ihn bloß an. Ihr Vater und ihr Bruder waren Hexer und hatten sich mit einer Leshii-Familie angefreundet. Was war dann Tris? Und ihre Mutter?
»Wir müssen uns beeilen«, drängte Alexander, und im selben Moment erlitt Max’ Vater eine Hustenanfall.
Es dauerte eine ganze Minute, bis er sich wieder in der Gewalt hatte. Er wischte sich einen Blutfleck vom Hosenbein.
»Der Rauch setzt mir zu«, erklärte er. »Er setzt uns allen zu.«
»Wenn ihr noch lange bleibt, wird er euch umbringen«, meinte Alexander.
Max’ Vater schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Wer bist du?«
»Alexander.«
»Er ist ein Freund«, sagte Max. »Alexander, das ist Peter.« Sie konnte sich nicht überwinden, ihn Dad zu nennen.
Die beiden Männer nickten einander zu und beäugten sich misstrauisch.
»Gehen wir ins Haus. Deine Mutter wird ganz hin und weg sein, wenn sie dich sieht.«
Klar doch. Genau wie er. Max folgte ihm. Alexander trottete neben ihr her.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Nichts, was sich nicht mit einer Kiste Whisky beheben ließe.« Nicht, dass sie sich hätte betrinken können. Ihr Shadowblade-Stoffwechsel machte ihr das unmöglich.
Alexander strich ihr mit den Fingern über den Nacken. Sie biss sich fest auf die Wange, und in ihren Augen brannten Tränen, die sie nicht herauslassen wollte. Sie hob das Kinn, griff nach Alexanders Hand, drückte sie fest und ließ sie dann los. Seine sanfte Berührung drohte, die Mauern einzureißen, die sie in ihrem Innern errichtet hatte. Mauern, die sie derzeit nötiger denn je brauchte.
Das Haus war mindestens hundert Jahre alt, wenn nicht älter. Es hatte drei Stockwerke, mehrere Anbauten, Dutzende von Giebelfenstern und zwei Türmchen. Eine breite Veranda umgab es an drei von vier Seiten. Am Vordach waren Sitzschaukeln aufgehängt, und draußen vor der Fenstertür standen ein Tisch und Stühle. Um das Haus herum und im Innern roch sie die Göttliche Magie ihres Vaters, die zuvor vom Rauch und der Witterung der Obake überdeckt gewesen war.
Ein langgestrecktes Wohnzimmer nahm die ganze vordere Hälfte des Hauses ein. Es war gemütlich mit seinem Dielenboden, den flauschigen Teppichen, Sofas und dem Flachbildfernseher. Zu einer Seite lag das Esszimmer. Ein kleiner Flur führte zur Küche, zweigte zur Treppe nach oben ab und setzte sich weiter nach hinten fort. Rauch trübte die Luft, obwohl die Fenster fest verschlossen waren. Es war stickig.
Ihr Vater stieß die Schwingtür zur Küche auf. Der Raum war modern eingerichtet, mit einer großen Küchenzeile auf einer Seite und einem Essbereich auf der anderen.
»Schaut mal, wen ich draußen gefunden habe«, verkündete ihr Vater dramatisch, trat beiseite und wies mit großer Geste auf Max. »Anne.«
»Max«, verbesserte sie ihn unwillkürlich und blieb in der Tür stehen. Alexander hatte sich direkt hinter ihr hingestellt. Sie spürte seine warme Brust an ihrem Rücken.
»Hallo allesamt«, sagte sie und musterte die Gesichter der Anwesenden. Sie sah Kyle am Tisch sitzen. Seine Stiefsöhne hockten am Fenster und spielten Videospiele. Neben Kyle saß
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