Shadowblade 02 - Schwarzes Feuer
Fingern.
»Hallo Dad. Ich bin wieder da.«
Kapitel 16
M ax hatte das Gefühl, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie hatte zwar gewusst, dass sie ihre Familie treffen würde. Trotzdem war sie nicht auf den Moment vorbereitet gewesen, in dem ihr Vater sie sah und feststellte, dass sie am Leben war. Dreißig Jahre nach ihrem angeblichen Tod war sie am Leben und sah noch immer aus wie zwanzig.
Natürlich hatte sie ihren Vater während dieser Zeit durchaus gesehen. Aus der Entfernung, normalerweise um Weihnachten und zu Tris’ Geburtstag im Sommer. Sie hatte beobachtet, wie er und ihre Mutter und die anderen älter und älter geworden waren. Jetzt schaute er sie mit aufgerissenen Augen an.
»Wie ist das möglich? Ich verstehe das nicht«, stammelte er schließlich. »Du siehst aus wie damals. Genau wie auf den Bildern, die wir von dir haben.«
Dann trat ein Ausdruck des Begreifens auf sein Gesicht, und er sagte das Letzte, was sie je von ihm zu hören erwartet hatte: »Du bist eine Hexendienerin, nicht wahr? Eine Shadowblade, oder? Eine von denen, die nur nachts rauskönnen?«
Es fühlte sich an, als hätte er ihr einen Schlag in die Magengrube versetzt. Alle Luft wich aus ihren Lungen, und sie kriegte keinen Ton heraus. Mit offenem Mund starrte sie ihn an.
»Das ist nur logisch. Wenn du eine Sunspear wärst, könntest du gar nicht hier sein.« Er redete mehr mit sich selbst als mit ihr. Das hatte er schon immer so gemacht. Er dachte gerne laut.
»Woher …?« Sie schluckte. Die Trockenheit in ihrer Kehle hatte mehr damit zu tun, dass sie ihn wiedersah, als mit dem Rauch. »Woher weißt du über Shadowblades und Sunspears Bescheid? Woher weißt du von Hexen?«
»Nun ja, ich bin ein Hexer. Zugegebenermaßen kein besonders mächtiger, aber ich komme gut zurecht. Kyle dagegen hat wirklich was auf dem Kasten.«
Kyle. Ihr Bruder. Der Junge, den sie nie wirklich kennengelernt hatte. Kurz nachdem sie aufs College gegangen war, war er zur Welt gekommen. Inzwischen war er dreiunddreißig, hatte eine Scheidung hinter sich und wieder geheiratet. Aus erster Ehe hatte er eine Tochter und zwei Stiefsöhnen aus der zweiten. Und er war ein Hexer. Wie kam es, dass sie nie davon erfahren hatte? Sie hatte ihre Familie aus der Ferne beobachtet und war nie auch nur auf den Gedanken gekommen, dass es etwas Außergewöhnliches mit ihren Angehörigen auf sich haben könnte.
»Irgendwoher muss das Hexenblut ja kommen«, brummte sie. Giselle hatte schon immer gesagt, dass die Zauber, die Max zur Shadowblade machten, durch die wenigen Tropfen Hexenblut verstärkt wurden, die durch ihre Adern rannen.
Sie sprang aus dem Graben, wobei sie sich des Bluts auf ihrer Haut und ihrer schmutzigen, zerrissenen Kleider nur allzu bewusst war. Sie unterdrückte den Impuls, sich die Haare zu glätten und ihre Kleider zurechtzuzupfen. Das hätte wenig Zweck gehabt. Langsam regte sich Wut in ihr. Warum hatte ihr Vater ihr nie erzählt, was er war? Was sie war?
»Ganz sicher dienst du einer Hexe. Was machst du hier?«
»Ich bin gekommen, um euch zu holen. Wir haben gehört, dass die Obake euch angegriffen haben. Es wird bald noch schlimmer. Ihr müsst mit uns nach Horngate kommen.«
»Ist Horngate der Sitz deines Zirkels?«, fragte er und musterte Max dabei wie einen exotischen Vogel.
Er hatte noch nicht versucht, sie in den Arm zu nehmen, und das war ihr durchaus aufgefallen. Statt wie seine Tochter behandelte er sie wie ein interessantes Studienobjekt. Sie spähte an ihm vorbei.
»Wo sind die anderen?«, erkundigte sie sich, ohne seine Frage zu beantworten.
»Drinnen. Sie werden ziemlich überrumpelt sein. Dieser Hexer – Jim – meinte, dass uns jemand zur Hilfe kommen würde. Er hat nicht erwähnt, dass du dieser Jemand sein würdest, Anne.«
»Ich heiße jetzt Max«, korrigierte sie ihn knapp. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Er war nicht wütend. Nicht beleidigt. Und er war auch nicht überglücklich, sie wiederzusehen. Sie erinnerte sich daran, wie er früher gewesen war – wie er den Arm um sie gelegt hatte, wenn sie spazieren gegangen waren; wie er ihr die Schulter gerieben hatte, wenn sie für eine Klausur gelernt hatte; wie er ihr jeden Abend einen Gutenachtkuss gegeben hatte – selbst als sie schon einundzwanzig gewesen war und sich zu alt für solche Sentimentalitäten gefühlt hatte. Aber dieser Mann – er war mehr ein Hexer als ihr Vater. Und sie war mehr eine Shadowblade als seine Tochter.
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