Shadowblade: Dunkle Fesseln: Roman (Knaur HC) (German Edition)
sich hoch. Lise ging bereits in Richtung Küche, die sich im Anhänger eines Traktors befand und die sie liebevoll als Dreckloch bezeichneten. Ihre Wirbelsäule knackte, als Max sich streckte. »Heb mir ein bisschen Kaffee auf.«
Lise winkte ab. »Als ob du das Koffein nötig hättest.«
Insgeheim wünschte Max sich, dass sie ihr folgen könnte. Ihr Körper hatte die Energieriegel und die Gatorade schon verbrannt, und bei dem umherwabernden Duft nach Knoblauch und frischem Brot krampfte sich unwillkürlich ihr Magen zusammen. Stattdessen schaute sie sich um und begutachtete das Lagerhaus eingehend. Es war fensterlos und gegen Licht und Dunkelheit abgedichtet. Hexenfeuer erhellte das Innere – selbst die Dunkelheit eines Lagerhauses schadete den Sunspears. Der Kranken-Truck stand an der gegenüberliegenden Wand, und daneben befand sich Giselles Wohnwagen. Auf der anderen Seite davon stand das Dreckloch. Zwei weitere kleinere Wohnwagen und ein halbes Dutzend Autos und Trucks waren wild verstreut auf dem Betonboden geparkt. Es wirkte wie ein Zeltlager von Nomaden, die jede Sekunde bereit zur Abreise waren.
»Max. Hierher. Sofort.«
Giselle stand in der Tür ihres Wohnwagens, und ihre Stimme hallte von den geriffelten Stahlwänden des Lagerhauses wider. Eigentlich sah sie nicht besonders eindrucksvoll aus. Aber das Gleiche galt für Schwarze Witwen. Sie war hübsch und zerbrechlich wie einer dieser Museumsstühle, die zum Sitzen nicht zu gebrauchen sind, oder wie die Porzellantassen, die zerbrechen, sobald man sie in die Hand nimmt. Ihr glattes haselnussbraunes Haar reichte ihr bis zu den Hüften, und sie trug bauschige Baumwollhosen zu einem Neckholder-Top. Sie sah so schwach und hilflos aus wie ein neugeborenes Lamm. Max schnaubte. Ein Lämmchen mit einem Zug von Jack the Ripper.
Die Hexe drehte sich um und ging rein. Max folgte ihr die schmalen Stufen hoch. Das Innere des Wohnwagens bot eine kleine, aber luxuriöse Unterkunft. Die Schränke bestanden aus Kirschholz, und dicke Wollteppiche bedeckten den Boden. Zur Linken befand sich eine kleine Küche und zur Rechten ein Wohnzimmer. Die Schiebewand dazwischen war geöffnet, um es geräumiger zu machen. Giselle setzte sich in einen roten Ledersessel mit hölzernen Klauenfüßen. Sie zog die Beine an und verschränkte die gebräunten Hände fest ineinander. Max blieb stehen.
Giselle verschwendete keine Zeit. »Erzähl es mir noch einmal.«
Daraufhin wiederholte Max ihren Bericht und ignorierte dabei die Kälte des Hagelkorns, die von ihrer Tasche aus in ihren Oberschenkel ausstrahlte. Sie hätte es in ihrem Wagen verstecken sollen, aber sie konnte sich nicht überwinden, sich davon zu trennen.
»Wie hat man dich geschnappt?« Giselles Tonfall war anklagend, und sie starrte Max finster an. Langsam hob sich ihr Haar und bewegte sich wie in einer unsichtbaren Strömung. Mit einem kleinen triumphierenden Lächeln beobachtete Max das Geschehen. Natürlich war das kindisch, doch sie nahm, was sie kriegen konnte. Und Giselle zu provozieren versüßte ihr jedes Mal den Tag. Die Hexe bemerkte Max’ Gesichtsausdruck, und ihr Haar glättete sich wie ein seidener Vorhang.
»Als ich den Zauberkreis um die Wintergreisin durchbrochen habe, hat die magische Entladung einige Aufmerksamkeit erregt. Ich habe einen Treffer abbekommen und es nicht schnell genug in Deckung geschafft.« Max zuckte mit den Schultern. »Ich nahm an, dass dir das lieber wäre, als die Wintergreisin in falsche Hände geraten zu lassen, oder?«
Giselle bedachte sie mit einem misstrauischen Blick. »Du hast überlegt, was ich wollen würde?«
»Ja, und na ja, sie schien es auch nicht sonderlich zu genießen, gefangen zu sein und gefoltert zu werden.«
Giselle seufzte. »Dreißig Jahre ist das her, und du kannst es immer noch nicht hinter dir lassen«, brummte sie, als sie die gehässige Anspielung erkannte.
Heiße Wut durchzuckte Max. »Du willst mich wohl verarschen! Was bitte soll ich hinter mir lassen? Dass meine beste Freundin mich in ein Mutantenmonster verwandelt hat? Dass sie mich versklavt hat? Oder vielleicht all die Stunden, in denen ich auf deinem Altar gefoltert wurde, während du meine Fesseln enger geschnürt hast? Ach ja, jetzt verstehe ich, wie du darauf kommst, dass ich das alles einfach vergessen könnte. Schließlich ist das nur Schnee – oder vielmehr Blut – von gestern, was? Lohnt sich nicht, weiter darüber nachzudenken.«
»Max, ich brauche dich. Ich glaube nicht, dass
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