Shadowblade: Dunkle Fesseln: Roman (Knaur HC) (German Edition)
Hexe, und du bist unglaublich leichtsinnig. Warum sollte ich bleiben?«
»Du musst mich nicht überzeugen. Ich stimme dir absolut zu. Also mach dich davon. Hau ab.«
Sie schaute ihn unerbittlich an. Und in diesem Moment wusste Alexander eines mit Sicherheit: Er wollte nicht fort. Er dachte an Giselles Tränen, als ihr das Ausmaß von Max’ Verletzungen klar geworden war, und an die leidenschaftliche Loyalität ihrer Shadowblades, die um ihr Leben gekämpft hatten. Und dann war da Max’ Versprechen dem Engel gegenüber – ich bin dir was schuldig . Er fragte sich, was Giselle dazu gesagt hatte. Doch trotz der Gefahren, die ein solches Versprechen mit sich brachte, hatte sie Max weder bestraft noch getötet, wie jede andere Hexe es getan hätte.
Letztlich lief alles darauf hinaus, dass Max’ Sinn für Gerechtigkeit auf die Leute um sie herum abfärbte. Sie kämpften für sie und füreinander, weil sie sich etwas bedeuteten und weil Max alles für sie gab und dasselbe von ihnen erwartete. Niemand wollte dabei schlecht wegkommen. Alexander stellte fest, dass es bei ihm nicht anders war.
Er begegnete Max’ festem Blick. Ihre Augen verrieten nichts. Noch während er sie ansah, konnte er beobachten, wie sie sich in ihr Inneres zurückzog – an den Ort, den sie beim Wettstreit nach dem Konklave aufgesucht hatte. Diese Zuflucht befand sich so tief in ihr und war so gut gepanzert, dass er fast den Eindruck bekam, sie wäre gar nicht mehr da. Etwas in seinem Innern verkrampfte sich schmerzhaft. Er wollte sie nicht dorthin gehen lassen. Es war ein kalter, trostloser Ort, aber vor allem riskierte sie dort noch viel mehr als sonst. Sie brauchte ihn – zumindest heute Nacht –, damit er ihr den Rücken freihielt und, ob ihr das nun klar war oder nicht, damit er sie vom Abgrund des Wahnsinns zurückriss.
»Ich möchte bei dir bleiben.« Das vorletzte Wort betonte er leicht.
Max zog eine finstere Miene. Ein glühender, wütender Ausdruck huschte über ihr Gesicht und verschwand sogleich. Die Sekunden vergingen. Alexander wartete. Würde sie ihn trotzdem rauswerfen?
Stocksteif saß sie da und starrte über die Motorhaube hinweg. Ihr Kehlkopf bewegte sich, als sie schwer schluckte. Sie schüttelte leicht den Kopf, legte den Gang ein und fuhr wieder auf die Straße. Kein Wort kam ihr über die Lippen.
Alexander biss sich auf die Innenseite der Wange und schmeckte Blut. Er sah die Berge vorbeiziehen, zwischen deren Felskanten Rauchschwaden wie Wolken hingen. Wenn er sich wirklich zu Max bekennen wollte … und zu Giselle …, dann musste er die Sache durchziehen. Keine Geheimnisse.
»Der Engel hat Selange kurz vor dem Konklave aufgesucht«, sagte er unvermittelt in die Stille hinein. »Er hat ihr eine ähnliche Schriftrolle gegeben. Ich weiß nicht, was darin stand, aber Selange war nicht glücklich über die Nachricht. Sie war besorgt. Sie hat mehrere Sunspears losgeschickt, um die Wintergreisin und ihren Stab zu finden. Und sie hat den Wettstreit verlangt, um an dein Hagelkorn zu kommen. Sie hat gesagt, dass sie mit der Greisin, dem Stab und dem Hagelkorn vielleicht dazu in der Lage wäre, der Einberufung zu entgehen. So hat sie es ausgedrückt.«
Als Max nicht antwortete, betrachtete er sie, um ihre Reaktion einzuschätzen. Ihre Mundwinkel waren herabgezogen, und sie hielt das Steuer so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß waren. »In Ordnung«, erwiderte sie ausdruckslos. »Sonst noch was, das ich wissen sollte?«
»Dieses Feuer sollte ein Geschenk an Selange sein. Ich schätze, dass sie dadurch ihr Territorium vergrößern kann, weil es ihr die Hexen im Süden und im Osten vom Hals schafft. Mit denen gibt es schon lange Reibereien. Außerdem gewinnt sie neue Macht daraus, indem sie die Magie aus der Panik und dem Tod bezieht. Und noch etwas. Der Engel hat gesagt, dass er bei Neumond wiederkommen würde, um Selanges Antwort einzuholen.«
»Sonst noch was?«
»Nein.«
»Warum sollte Selange ein Geschenk erhalten und Giselle eine Drohung?«, überlegte Max laut. »Das ergibt keinen Sinn. Und wenn sie wirklich Old Home niedergebrannt haben …« Sie brach ab, als hätte sie zu viel gesagt.
»Old Home?«, fragte er.
Sie zögerte. »In Old Home lebt ein mit Horngate verbündeter Zirkel. Kurz vor dem Konklave hat sich dort niemand mehr gemeldet. Alton, der Hexer von Old Home, hat Panik gekriegt. Giselle glaubt, dass der Ort und der Zirkel vielleicht wegen des Inhalts der Schriftrolle zerstört wurden. Sie
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