Shadowblade: Dunkle Fesseln: Roman (Knaur HC) (German Edition)
mal, wenn mir der Rest des Zirkels hilft. Horngate wird zu Asche verbrennen.«
Giselle fuhr fort: »Aber mit der Wintergreisin haben wir vielleicht eine Chance. Sie gebietet über das Wasser und den Schnee. Zusammen könnten wir das Engelsfeuer löschen. Wenn du sie davon überzeugen kannst, nach Horngate mitzukommen und uns zu helfen, gewinnen wir etwas Zeit. Dann können wir uns überlegen, wie wir es vermeiden, in den Krieg zu ziehen.«
»Ich? Wie soll ich sie überzeugen?«
»Das hast du selbst gesagt. Du hast sie gerettet. Sie ist dir etwas schuldig. Wenn du den Bannkreis nicht gebrochen hättest, wäre sie jetzt eine Gefangene von Selange.«
Allerdings hatte die Wintergreisin Max für ihre Freiheit und für die Blutmahlzeit bereits mit dem Hagelkorn entlohnt. Doch das würde Max ihrer Hexe nicht erzählen. Das Hagelkorn gehörte ihr. Und genauso wenig wollte sie Giselle erinnern, dass der Engel nun in ähnlicher Weise Macht über sie hatte. Das war auch nicht nötig. Der bittere Zug um Giselles Mund verriet, dass ihr die Ironie nicht entgangen war.
»Ich habe noch die halbe Nacht übrig. Ich nehme Akemis Pick-up. Und Alexander nehme ich besser auch mit.«
»Alexander?«, fragte Giselle schneidend. »Warum?«
»Ich will ihn nicht nach Horngate schicken, solange dieses Damoklesschwert über unseren Köpfen hängt. Er ist zu gefährlich. Durch ihn könnte Selange dich attackieren.«
»Das gefällt mir nicht. Er könnte dir einfach so ein Messer in den Rücken bohren.«
»Mag sein. Aber das hält ihn wenigstens davon ab, Selange an deine Tür zu holen. Und da du gerade so wenig Leute zur Verfügung hast und dein Wohnwagen nicht mehr geschützt ist, möchte ich nicht das Risiko eingehen, dass er dich aufs Korn nimmt. Damit könnte er nämlich sehr wohl Erfolg haben. Er war ein Primus, also ist er verdammt gut.«
Giselle trommelte mit den Fingern auf ihr Knie. »Na schön. Mach dich auf den Weg und nimm ihn mit. Aber sei vorsichtig.«
»Das bin ich immer.«
»Lügnerin.«
Die Sorge in Giselles Tonfall war nicht zu überhören. Max zögerte. »Ich werde so vorsichtig wie möglich sein.«
»Beeil dich. Wir haben nicht viel Zeit, bevor der Engel zurückkehrt und eine Antwort verlangt. Und ich kann nicht einfach nein sagen.«
»Ich will, dass du sofort von hier verschwindest. Fahrt nicht über die Interstate Fünfzehn, sondern nehmt die Interstate Fünf durch Oregon. Danach kommt ihr durch Washington und Idaho. Bleibt immer in Bewegung. Haltet nur an, wenn ihr tanken oder die Fahrer auswechseln müsst«, befahl Max.
»Machen wir.«
»Dann verschwinde ich jetzt.«
Max drehte sich um und griff nach dem Türknauf, doch Giselles leise Stimme ließ sie innehalten.
»Ich weiß, dass heute Tris’ Geburtstag ist. Tut mir leid, dass du ihn verpasst hast.«
Max konnte den Schmerz in ihrer Miene nicht verbergen, doch da sie Giselle den Rücken zukehrte, sah die Hexe ihr gramverzerrtes Gesicht nicht. »Ich kann ja eh nichts tun, außer sie wie ein Stalker zu beobachten«, meinte sie und umklammerte den Türgriff dabei so fest, dass das Metall zerquetscht wurde.
»Trotzdem ist sie deine Schwester.«
»Nein, ist sie nicht. Nicht mehr. Schon seit dreißig Jahren.«
Tränen liefen Max übers Gesicht, als sie die Tür aufstieß und fest hinter sich schloss. Tris war heute dreiundvierzig geworden. Sie war verheiratet und hatte zwei Kinder. Max’ Bruder war erst dreiunddreißig. Sie hatte ihn nie wirklich kennengelernt. Kurz bevor sie aufs College gegangen war, war er zur Welt gekommen. Inzwischen war er geschieden und neu verheiratet, hatte zwei Stiefsöhne und eine Tochter aus erster Ehe. Auch Max’ Eltern lebten beide noch. Ihr Vater war Diabetiker, aber er kam gut damit zurecht, und ihre Mutter war rüstig und erfreute sich bester Gesundheit. Jedes Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr unternahm Max eine Pilgerfahrt, um sie zu sehen. Sie bekamen Max dabei nie zu Gesicht. Ein halbes Jahr später kam sie dann normalerweise zu Tris’ Geburtstag. Sie konnte einfach nicht anders.
Sie holte tief Luft und kniff die Augen fest zu, um nicht in Tränen auszubrechen und um die schmerzhaften Erinnerungen zu verdrängen. Dafür hatte sie keine Zeit. Sie musste Akemis Pick-up beladen, Alexander einsammeln und die anderen auf den Weg bringen.
Zwanzig Minuten später rasten sie und Alexander über die Autobahn in Richtung Julian, nachdem ihre Gefährten sich auf der Interstate 10 nach Westen aufgemacht hatten. Max hatte
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