Shadowblade: Dunkle Fesseln: Roman (Knaur HC) (German Edition)
Unterlippe, dass sie Blut schmeckte. Um sich zu beruhigen, starrte sie auf ihre Füße hinab. Leise setzte sie erneut an.
»Also, noch mal ganz langsam für dich. Diejenigen von uns, die nicht besonders viele Möglichkeiten haben, eigene Entscheidungen zu treffen, müssen teuer dafür bezahlen, wenn sie die Regeln brechen.« Sie schaute zu Giselle hoch, ohne dabei den Kopf zu bewegen. »Darüber weißt du bestens Bescheid. Ja, er hat diesen Zauber mitgebracht, und es war eine Falle. Aber er hat diesen Zauber weder selbst bewirkt noch geschickt. Seine Herrin, dieses Miststück, hat das getan. Und er hat beschlossen, mir zu helfen, obwohl er dazu nicht verpflichtet war. Du kannst dein Leben darauf verwetten, dass seine Herrin ihn dafür bestraft – und wir wissen beide, wie kreativ ihr Hexen in dieser Hinsicht sein könnt. Vielleicht kommt es dir unnötig riskant vor, sein Geschenk anzuerkennen. Doch in Wirklichkeit ist es so, dass er mir einen Riesengefallen getan hat, für den er eine Gegenleistung verdient. Das ist das einzig Wertvolle, was Geschöpfen wie mir und ihm noch geblieben ist, um es mit anderen zu teilen.«
Giselle schüttelte den Kopf. »Es war ein Fehler, der Horngate alles kosten könnte«, beharrte sie.
Müde zuckte Max mit den Schultern. Es war sinnlos, weiter darüber zu reden. Es war geschehen. »Willst du das Ding nun lesen und herausfinden, was ich uns da erkauft habe?«
Steif entrollte die Hexe das Pergament. Ihre Hände zitterten. Max kniff die Augen zusammen. Dunkle Vorahnungen machten sich in ihr breit. Sie sah Giselle beim Lesen zu. Eine Minute verging, dann noch eine und noch eine. Die Farbe wich aus Giselles Gesicht. Als sie die letzten Zeilen las, verkrampften ihre Finger sich um das Pergament. Schließlich schaute sie zu Max auf, und ihre Augen wirkten wie schwarze Löcher.
»Die Herrin des Engels ist Hekau.«
Sie sprach den Namen aus, als müsste Max wissen, um wen es sich handelte. »Wer?«
»Hekau. Sie ist eine Hüterin.«
Max musterte sie. »Du meinst, eine von den Hütern?«
Giselle nickte.
»Was will sie?«
Giselle presste sich eine Hand auf den Mund, als müsste sie einen Wutschrei unterdrücken. Vielleicht wollte sie auch verbergen, dass ihre Lippen zitterten. Sie ließ die Hand in den Schoß sinken, und ihr Gesicht wurde so ausdruckslos wie ein zugefrorener See. Mit monotoner Stimme sagte sie: »Sie fordert mich auf, ihr zu dienen – mich und ganz Horngate. Wir sollen im kommenden Krieg unter ihrem Banner kämpfen – sie bezeichnet ihn als Schlacht der Vergeltung. Wenn ich mich weigere, wird Horngate zerstört. Wie Old Home.«
Max konnte sie nur anstarren. Das entsprach genau den Warnungen aus der Vision. Es passte so genau, dass sie unwillkürlich daran zweifelte, dass Giselle die Wahrheit sagte. Max’ Miene verriet der Hexe offenbar alles.
»Willst du etwa behaupten, dass ich lüge?«, fragte Giselle matt und rieb sich die Stirn. »Dass ich diesen komplizierten Plan entworfen habe, um dich zu manipulieren, damit du mit mir zusammenarbeitest und mir gehorchst?«
Max biss sich auf die Zungenspitze. Die Sache war klar. Sie hatte ihre Entscheidung bereits getroffen. Horngate bedeutete ihr zu viel. Doch zugleich gönnte sie Giselle die Genugtuung nicht. Und eines Tages würde sie frei sein, komme, was da wolle. Sie schluckte. Ihr blieb keine andere Wahl. Giselle hatte keinen Engel mit Liebestelegramm an sich selbst geschickt. Es war also Zeit, zu planen und zu handeln.
»Was hast du vor?«, fragte sie Giselle.
Die Hexe starrte einen Moment lang vor sich hin, schloss die Augen und ließ sichtlich erleichtert die Schultern herabsacken. Kurz darauf nahm sie eine aufrechte Haltung ein, und ihre Miene wirkte entschlossen. »Du musst die Wintergreisin holen.«
Das war nicht das, was Max erwartet hatte. »Wie?«
»Ich glaube … Wenn ich mich weigere, in den Krieg zu ziehen, wird Hekau Horngate mit Engelsfeuer angreifen – um ein Exempel an mir zu statuieren. Das Gleiche muss mit Old Home geschehen sein. Aber warum hat Alton mir nichts davon gesagt?« Ratlos runzelte Giselle die Stirn und schüttelte den Kopf. »Der Engel war eine Warnung – um uns mitzuteilen, was Hekau mit uns anstellen kann. Bitterwurz braucht kaum mehr als einen Funken, um eine Feuersbrunst zu entfachen, und Engelsfeuer kann man nur mit Magie löschen. Sobald der Brand sich unkontrolliert ausbreitet, werde ich nicht mehr ausreichend magische Kräfte haben, um ihn zu ersticken – nicht
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