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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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seltsam geworden. Sie hat sich von den Leuten ferngehalten. War immer geschäftig, aber immer für sich. Nicht ein Wort hat sie mehr mit dem König gesprochen, seit jener unsäglichen Gerichtsverhandlung gegen ihre Herrin. Nun kommt sie, mit langen Schritten, damit jeder gleich weiß, die da hat etwas mitzuteilen.
    »Das Verlorene ist wiedergefunden!« ruft sie durch die Halle und schwenkt ein Ding in der Hand. Was ist das für ein Ding? Ein Schildchen aus Leder, schon dunkel. »Das da!« ruft Paulina, »Das da habe ich gefunden unter den Sachen dieser jungen Dame!« Sie zeigt auf Perdita. »Das da kenne ich!«
    Und ehe Perdita etwas sagen kann, verschwindet ihr hübsches Gesicht zwischen Paulinas gewaltigen Brüsten. Fest drückt sie das Mädchen an sich und muß nun auch weinen.
    »Sie ist Eure Tochter! War verloren und wurde wiedergefunden!«
    Das große Umarmen beginnt.
    Camillo bemerkt: »Dann könnte man ja den König von Böhmen verständigen, daß sein Sohn doch auf gewünschter Höhe heiratet.«
    Sofort werden Boten nach Böhmen geschickt. Polyxenes soll zur Hochzeit seines Sohnes nach Sizilien reisen. Alles sei gut!
    Nein, alles ist nicht gut.
    »Ach, was gäbe ich dafür, könnte ich Hermione noch einmal sehen!« jammert Leontes weiter.
    Paulina tritt nahe an den König heran. »Einmal wollt Ihr Eure treue Gemahlin noch sehen?«
    »Ja.«
    »Die immer treue Gemahlin?«
    »Ja.«
    »Sagt es!«
    »Einmal noch möchte ich meine immer treue Gemahlin sehen!«
    »Und Ihr seid zufrieden, auch wenn sie kein Wort mit Euch spricht?«
    »Ich werde zufrieden sein.«
    »Und auch, wenn sie keinen Schritt auf Euch zugeht?«
    »Auch wenn sie stumm und starr ist wie eine Statue.«
    »Dann kommt mit!«
    Paulina nimmt Leontes an der Hand und führt ihn durch seinen Palast, führt ihn durch Gänge, die er noch nie gegangen, über Stiegen, über die er noch nie gestiegen ist. Und dann führt sie ihn in ihre Wohnung.
    In der Mitte der Wohnung steht eine Statue, sie ist mit einem Tuch verhängt. Paulina zieht das Tuch beiseite. Es ist Hermione. Vor lauter Erschüttertsein fällt Leontes gar nicht auf, daß die Statue seine Frau nicht im Alter ihres Todes zeigt, sondern in dem Alter, in dem sie jetzt wäre, würde sie noch leben.
    »Welcher Künstler hat sie geschaffen!« ruft Leontes aus. »Ich will ihn ehren!«
    »Der größte Künstler, der sich denken läßt«, sagt Paulina.
    Bewegt sich da nicht etwas? Ein Finger der Statue. Jetzt die Hand! Der Arm!! Und legt sich – um Gottes willen! – dieser Arm doch tatsächlich um den Hals des Leontes!
    Was geht hier vor? Daß ein Stein zu leben beginnt? Weich gemacht durch Tränen etwa? Kann das einer glauben? Nein, gewiß nicht. Oder anders: Daß sich Hermione all die Jahre im Palast versteckt hat, in Paulinas Wohnung? Kann das einer glauben? Warum soll man unbedingt etwas glauben? Was man sieht, das muß man nicht glauben, das sieht man ja. Und wenn es schön ist, um so besser!
    So kommt zu Ende, was begann mit: »Es war einmal …«
    Was aber nicht heißt, daß alles gut ist. Ich kann nämlich den Mamillius nicht vergessen. Ich werde ihn nie vergessen können. Denn er war mir von allen der Allerliebste. Und deshalb ist für mich nicht alles gut! Gar nichts ist gut.

Ein Sommernachtstraum
    Theseus, der König von Athen, gibt den Termin seiner Hochzeit bekannt. Er will Hippolyta heiraten, die Königin der Amazonen. In einem Feldzug hat er sie erobert und nach Athen verschleppt.
    »Ist doch auch hier schön, oder nicht?«
    Sie antwortet nicht.
    »Sie bockt«, sagt Theseus. »Das wird schon.«
    Rohling zu sein, das sei sicher ein gutes Image in Kriegszeiten, wird ihm gesagt. Für den Frieden reiche es allerdings nicht aus, wenn einer Ansehen gewinnen und das Ansehen auch halten will. Und bei Frauen komme der rein Derbe auf die Dauer schon gar nicht an. Also überlegt sich Theseus eine Imagekorrektur; er will Hippolyta beweisen, daß er durchaus auch ein kultivierter Mensch ist.
    Irgendwo hat er gehört, daß Frauen Kultur mögen. Man muß ihnen auch ein Stück entgegenkommen, denkt er. Also, erste Frage: Was ist Kultur überhaupt? Theseus hat sich umgehört. Er bekam verschiedene Antworten. Die meisten unbefriedigend. »Wenn schon Kultur«, war seine Meinung, »dann muß sie etwas hergeben. Also, daß man sie auch sieht und hört.« Und dann kam einer und sagte: »Theater. Mach irgend etwas mit Theater, Theseus, das wird deiner Frau gefallen. Dann wird sie auch nicht mehr

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