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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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wiedergutzumachen, was er angerichtet hat.
    »Dein Sohn«, sagt Camillo zu Polyxenes, seinem zweiten Herrn, »dein Sohn ist wie du. Auch er will sich in der Welt umsehen.«
    »Du meinst, er sucht sich eine Frau?«
    »Ich habe diese Umschreibung dafür gewählt.«
    »Kann er das?«
    »Jeder kann das.«
    »Ich weiß«, sagt der König. »Wenn man es tut, kann man es. Wenn man es getan hat, weiß man nicht, wie man es getan hat. Ich würde gern sehen, wie er sich anstellt dabei.«
    »Dazu reicht selbst die Macht des Königs nicht aus«, sagt Camillo.
    »Man kann ja auch einmal so tun, als wäre man nicht der König«, sagt der König.
    Er schickt Camillo los, damit er schlichte Bürgerkleider besorge. »Für zwei Männer.«
    »Zwei? Warum für zwei.«
    »Für dich und für mich. Wir wollen uns gemeinsam ansehen, wie Florizel das Glück sucht. Und wenn er es findet, dann wollen wir daran teilhaben. Denn das Glück meines Sohnes ist auch mein Glück.«
    Camillo hat Bedenken. An allem, was seinen Sohn betreffe, könne und solle ein guter Vater teilhaben, sagt er, aber diese Sache sei eben genau die einzige, die nicht teilbar sei.
    »Ich verspreche«, sagt der König, »ich werde meinen Mund halten, werde nur zusehen und zuhören. Werde mich nicht einmischen.«
    »Aber es wird Euch vielleicht nicht alles gefallen, was Ihr seht und hört.«
    »Ich bin ein toleranter Mann. Weißt du das nicht?«
    Camillo besorgt die Kleider, und die beiden machen sich auf den Weg – in die Welt hinaus.
    In der Welt draußen kommen sie in ein Dorf, und da sind viele Menschen auf den Wegen, und die Menschen haben ihre schönsten Sachen an. Und man erklärt den beiden Bürgersleuten, was heute für ein Tag ist, nämlich der Tag der großen Schafschur. Daß an diesem Tag die Schäfer von den Weiden kommen, wo sie gute zweihundert Tage mit den Schafen zusammengelebt haben, bis sie am Ende selbst fast wie Schafe aussehen, Fellmäntel bis zum Boden, und die Hälfte der Wörter haben sie vergessen und sich ein Blöken angewöhnt, und dann werde auf dem Dorfplatz ein Wettbewerb abgehalten, wer am schnellsten ein Schaf scheren kann, so daß das Fell in einer Decke daliegt. Und zu essen und zu trinken und zu tanzen gibt es auch.
    »Wie in den Schäfergedichten«, flüstert Polyxenes dem Camillo ins Ohr.
    Gern lassen sich die beiden Bürger zu dem Fest einladen.
    Jahrmarkt findet auch statt. Was sich in der Stadt nicht verkaufen läßt, weil es veraltet oder angebrochen oder einfach Quatsch ist, auf dem Dorf kriegt man es los. Sogar Moritaten kann man kaufen. Der Verkäufer muß nur clever sein. Und der Cleverste von allen ist ein gewisser Autolycus. Der hat sogar etwas gemeinsam mit den beiden fremden Bürgern, die sich die Welt ansehen wollen. Auch er ist inkognito unterwegs.
    Autolycus ist ein Dieb, der sich als Händler tarnt. Er ist ein Meisterdieb, und das Meisterliche liegt in seiner Mäßigung. Er nimmt nur so viel, wie er braucht, und er nimmt gerecht; nicht alles einem, sondern allen etwas. Das sichert ihm Kundschaft auf Lebenszeit und hält das schlechte Gewissen im Zaum. Alles Extreme ist Autolycus verhaßt. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf – und sein Name heißt »Wolf«. Daß also einer in den anderen hineinbeißt, daran läßt sich nichts ändern, aber es ist besser, wenn allen ein bißchen etwas weh tut, als wenn einer allein brüllt. So ungefähr ist sein Motto. Aber auch nur ungefähr. Autolycus will sich auf nichts festlegen. Wer auf einem Standpunkt beharrt, bleibt stehen. Das ist ein anderes – ungefähres – Motto von ihm. Was heißt schon Motto? Es ist die Überschrift über etwas, was ein anderer tun soll. Autolycus ist aber gar nicht der Meinung, daß alle so denken oder handeln sollen wie er. Das würde doch nur Konkurrenz schaffen. Er liebt die Vielfalt, schon aus beruflichen Gründen. Dann gibt es von allem etwas abzustauben. Kaum ein Beruf, der besser in einer Atmosphäre von Freiheit und Toleranz gedeiht als der Beruf des Diebes.
    Auch Polyxenes gefällt es hier. »Hier sind die Menschen, wie sie sind«, begeistert er sich vor Camillo.
    »Überall sind die Menschen, wie sie sind«, relativiert Camillo.
    »Du relativierst immer alles!« lacht ihn Polyxenes aus. »Du bist ein Pessimist, Camillo! Kannst du dich denn an gar nichts erfreuen? Hast immer den sturen Königshof im Kopf! All die Formen und Zwänge! Hier herrschen Freude und Freiheit! Warst du nie jung, Camillo?«
    Camillo ist bedrückt, er weiß selber nicht,

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